Zulässigkeitsmaßstäbe des BVerwG zum signifikant erhöhten Tötungsrisiko von Vögeln an

Frage

Können Sie die Zulässigkeitsmaßstäbe des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2008 im Zusammenhang mit dem Tötungsverbot und dem „signifikant erhöhten Tötungsrisiko“ sowie deren Rezeption und Entwicklung in Rechtswissenschaft und -praxis darstellen? Welche fachlichen und wissenschaftlichen Ansätze existieren zum Umgang mit den diesbezüglich bestehenden artenschutzrechtlichen Unsicherheiten?

Vollständige Antwort

Zulässigkeits-Maßstäbe des Bundesverwaltungsgerichts

Die in der Frage angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 09. Juli 2008 (AZ 9 A 14.07) betrifft das Tötungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Demnach ist es verboten, wildlebende Tiere der besonders geschützten Arten zu töten.

Zur Erfüllung des Verbotstatbestandes genügt bereits die Tötung einzelner Exemplare einer Art (Müller-Walter in Lorz et. al. 2013, § 44 BNatSchG, Rn. 10). Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Tötung gewollt war oder nur in Kauf genommen wurde. Selbst unabsichtliche und ungewollte Tötungen sind umfasst (vgl. ebd., Rn. 11). Auch Handlungen, die an sich erlaubt sind, aber unvermeidbar die Tötung geschützter Tiere mit sich bringen, fallen unter das Tötungsverbot (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juli 2008, Rn. 91).

Ein derart individuenbezogener Tötungsbegriff würde aber in der praktischen Anwendung dazu führen, dass große Infrastruktur- und Windenergieprojekte praktisch überhaupt nicht oder nur noch über Ausnahme- oder Befreiungsregelungen (z. B. § 45 und § 67 BNatSchG) genehmigt werden könnten. Denn bei solchen Vorhaben kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten ums Leben kommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juli 2008, Rn. 90f).

Das BVerwG hat daher in der genannten Entscheidung die Anwendung des Tötungsbegriffes eingeschränkt. Demnach ist bei nicht beabsichtigten, zufälligen Tötungshandlungen der Verbotstatbestand nur dann erfüllt, wenn sich durch eine Anlage das Tötungsrisiko für eine betroffene Art „in signifikanter Weise erhöht“ [sog. Signifikanztheorie des BVerwG] (BVerwG, Urteil vom 09. Juli 2008, Rn. 91).

In diesem Zusammenhang erläutert das Gericht, dass das Tötungsverbot nicht erfüllt sei, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung (sog. „Einschätzungsprärogative“) und unter Berücksichtigung von Vermeidungsmaßnahmen kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, welches „unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleib[e], der mit [im konkreten Streitfall] einem Verkehrsweg im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden“. (ebd.)

In einer Entscheidung vom April 2016 konkretisiert das BVerwG, dass sich der Risikobereich im Naturraum nicht auf Verkehrswege beschränke. „Von Menschenhand gestaltete Naturräume bergen […] aufgrund ihrer Nutzung durch den Menschen ein spezifisches Grundrisiko […], das […] zum Beispiel auch mit dem Bau von Windkraftanlagen, Windparks und Hochspannungsleitungen verbunden ist.“ Verkehrswege [und angesichts der vorzitierten Äußerung auch andere, anthropogene Gefahrenquellen] gehören demnach zur „Ausstattung des natürlichen Lebensraums der Tiere“ und es müssen „besondere Umstände hinzutreten […], damit von einer signifikanten Gefährdung […] gesprochen werden kann.“ (BVerwG, Urteil vom 28. April 2016, Rn. 28 c Nr. 7 aa)

Damit eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos konstatiert werden kann, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss es sich um eine Tierart handeln, die aufgrund ihrer artspezifischen Verhaltensweisen im Bereich des Vorhabens ungewöhnlich stark von dessen Risiken betroffen ist. Zum zweiten muss sich die Tierart häufig, während der Nahrungssuche oder während des Zuges im Gefährdungsbereich des Vorhabens aufhalten. (BVerwG, Urteil vom 14.07.2011, Rn. 99 sowie Urteil vom 18.03.2009, Rn. 58)

Rezeption der Signifikanz-Rechtsprechung in der Rechtswissenschaft und Rechtspraxis

Die Rechtsprechung zur Signifikanz erfährt in der rechtswissenschaftlichen Literatur keine ungeteilte Zustimmung. Unter anderem wird kritisiert, dass es an einer rechtsdogmatischen Herleitung der Signifikanztheorie des BVerwG fehle. Zudem führe diese vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Schwierigkeiten auch nicht zu einer erhöhten Rechtsanwendungssicherheit (vgl. v. Marschall 2015, S. 136; Brandt 2013 sowie 2013a).

Abweichend von der Rechtsprechung des BVerwG von 2008 vertraten sowohl das OVG Münster (Urteil vom 30. Juli 2009) als auch das VG Minden (Urteil vom 10. März 2010) die Auffassung, dass der Maßstab für die Erhöhung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos [nicht das einzelne Individuum, sondern] die lokale Population der betroffenen Art sei. Allerdings wird dieser Ansatz, soweit ersichtlich, bislang nicht von anderen Gerichten geteilt (z. B. VG Halle, Urteil vom 24. März 2011 und OVG Magdeburg, Urteil vom 26. Oktober 2011). Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Frage „Individuenbezug versus Populationsbezug“ diskutiert (vgl. Hinsch 2011, S. 194; v. Marschall 2015, S. 134; Gatz 2014, Rn. 275; Niederstadt und Krüsemann 2007, S. 348; Phillip 2008, S. 596; Gellermann in Landmann und Rohmer 2016, § 44 Rn. 7-9).

Ungeachtet der oben angeführten Kritik ist der Signifikanz-Ansatz des BVerwG jedoch mittlerweile flächendeckend von der obergerichtlichen Rechtsprechung übernommen worden (Grünkorn et al. 2016, S. 231).

Weitere gerichtliche Entscheidungen im Zusammenhang mit der Signifikanztheorie des BVerwG

Wann die Signifikanz-Grenze überschritten sein soll und damit das Tötungsverbot einschlägig wird, bereitet in der (Rechts-)Praxis häufig Schwierigkeiten, da aufgrund fehlender hinreichender ökologischer Erkenntnisse kaum Bezugsgrößen als Basiswert festgelegt werden können, von dem aus ein Unterschied nachweisbar wäre (v. Marschall 2015, S. 135). Daher fällt es der Rechtsprechung auch schwer, diesbezüglich Rahmenvorgaben zu formulieren, wie nachfolgende Beispiele verdeutlichen.

So hat zum Beispiel das OVG Münster in einer Entscheidung Prozentzahlen herangezogen (Urteil vom 21. Juni 2013). In diesem Fall ging es unter anderem um die Kollisionsrate von Uhus an Hochspannungsleitungen. Das Gericht hat unter Berufung auf Breuer (2006) die Möglichkeit einer Quote von 10,3 Prozent „Drahtopfern im weiteren Sinne“ als berücksichtigenswert eingeschätzt. Allerdings sei, so das Gericht weiter, dieser Wert mit dem ebenfalls bei Breuer (2006) aufgeführten Wert für „Sonstige [Todes-]Ursachen“ von 27,3 Prozent in Relation zu setzen. Somit bleibe das Risiko des Vorhabens „deutlich unter der Gefahrenschwelle […], der Uhus in einer anthropogen gestalteten Kulturlandschaft immer ausgesetzt sind.“ (ebd., Rn. 143)

Auch das OVG Lüneburg hat Prozentzahlen genannt (Urteil vom 22. April 2016), hier im Zusammenhang mit Schutzmaßnahmen für Fledermäuse bei einem Straßenbauvorhaben. Es ging davon aus, dass vorgesehene Überflughilfen einen Kollisionsschutz von 80 Prozent hätten. Demnach bestünde aber für 20 Prozent der Fälle ein Tötungsrisiko. Das Gericht hielt es angesichts dieser Zahl für „fernliegend“ in diesem Fall „nicht von einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos zu sprechen.“ (ebd., Rn. 349)

Mit vergleichsweise konkreten Zahlen äußerte sich das OVG Magdeburg mehrfach im Zusammenhang mit Fledermäusen bei Windenergieanlagen (WEA). Dieses stellte fest, dass die Signifikanzschwelle „bei 1-2 toten Fledermäusen pro Jahr […] noch nicht erreicht“ sei. (OVG Magdeburg, Urteil vom 16.05.2013 AZ 2 L 80/11, Rn. 24 sowie AZ 2 L 106/10 Rn. 22 sowie Beschluss vom 4. Juni 2013, Rn. 8).
Im gleichen Urteil gibt das OVG Magdeburg weitere Hinweise im Zusammenhang mit der art- und vorhabenspezifischen Feststellung, ob die Signifikanzschwelle überschritten ist. Es muss dabei auf einer „hinreichend gesicherten Tatsachenbasis feststehen, dass gerade an dem konkreten Standort der zu errichtenden Windkraftanlagen und nicht nur in dessen näherer und weiterer Umgebung zu bestimmten Zeiten [kollisionsgefährdete Tiere] in einer Zahl auftreten, die Kollisionen von mehr als nur einzelnen Individuen mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen.“ (OVG Magdeburg, Urteile vom 16.05.2013 AZ 2 L 80/11, Rn. 23, sowie AZ 2 L 106/10 Rn. 21 sowie Beschluss vom 4. Juni 2013, Rn. 7)

Weiterhin muss für einen Verstoß gegen das Tötungsverbot die „Zahl der potentiellen Opfer eine Größe überschreiten, die mit Rücksicht auf die Zahl der insgesamt vorhandenen Individuen einer Population sowie die Zahl der Individuen, die ohnehin regelmäßig dem allgemeinen Naturgeschehen […] zum Opfer fallen, überhaupt als nennenswert bezeichnet werden kann.“ Die Opferzahl muss jedoch „nicht so groß sein, dass sie sich bereits auf die Population als solche auswirkt“ (OVG Magdeburg, Urteile vom 16.05.2013 AZ 2 L 80/11, Rn. 24 sowie AZ 2 L 106/10, Rn. 22 sowie Beschluss vom 4. Juni 2013, Rn. 8). Das Gericht konkretisiert den Signifikanzbegriff also dahingehend, dass das Erreichen der Signifikanzschwelle auch anhand der Populationsgröße bestimmbar ist. Das Tötungsverbot ist jedoch nicht erst dann verwirklicht, wenn es zu Auswirkungen auf die Population kommt (vgl. FA Wind o.J.).

Naturschutzfachlicher und wissenschaftlicher Umgang mit den artenschutzrechtlichen Unsicherheiten

In Wissenschaft und Praxis haben sich mittlerweile unterschiedliche Ansätze herausgebildet, um den artenschutzrechtlichen Konflikten im Zusammenhang mit der signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos zu begegnen. So wurden auf Grundlage von Forschungsergebnissen und Experteneinschätzungen im sogenannten Helgoländer Papier kreisförmige Mindestabstände um WEA zu Brutplätzen für WEA-sensible Vogelarten empfohlen, deren Anwendung die das Tötungsverbot betreffenden artenschutzrechtlichen Konflikte vermeiden sollen (vgl. LAG VSW 2015, S. 2).

Die radialen Abstandsempfehlungen sind jedoch mit der Einschränkung versehen, dass allein die Lage des Brutplatzes nicht die bevorzugten Flugwege und Aktionsräume (Jagd- bzw. Nahrungsgebiete) für Vogelarten mit großen Raumansprüchen abbildet. Eine alleinige Anwendung könnte somit dazu führen, dass einerseits Flächen innerhalb der Abstandsradien von WEA freigehalten werden, ohne dass sie eine Bedeutung für das betreffende Brutpaar haben und andererseits die WEA dann innerhalb häufig frequentierter Flugkorridore zu weiter entfernten Nahrungsgebieten platziert werden. Zur Erfassung der für WEA-sensible Vogelarten relevanten Funktionsräume und ‑beziehungen können Raumnutzungsanalysen dienen. Zur einzelfallweisen Anpassung bzw. Überprüfung von radialen Abständen sind diese allerdings nur sinnvoll, wenn die Lage des jeweiligen Brutplatzes zum (geplanten) Windpark konstant bleibt. Somit bergen auch Raumnutzungsanalysen angesichts artspezifisch unterschiedlicher Brutplatztreue oder/und sich aufgrund der Nahrungsverfügbarkeit kurz-, mittel oder langfristig ändernder Raumnutzungsmuster Unsicherheiten, mit denen man vor dem Hintergrund der artenschutzrechtlichen Anforderungen in der Praxis umgehen muss. (Grünkorn et al. 2016, S. 248 f.)

Bernotat und Dierschke (2012) entwickelten eine Methode für die Planungspraxis, um die Bedeutung zusätzlicher Mortalität für Tierarten (zunächst insbesondere Vogelarten) artspezifisch einzuschätzen. Dabei wurde unter Einbeziehung verschiedener populationsbiologischer und naturschutzfachlicher Parameter ein Klassifizierungssystem für die Einstufung der Bedeutung zusätzlicher Mortalität auf Artniveau entwickelt. Der aus zwei Indizes zur populationsbiologischen Sensitivität und zum naturschutzfachlichen Wertüber eine Aggregationsmatrix gebildete Mortalitäts-Gefährdungs-Index (MGI) kann Hinweise für die naturschutzfachliche Relevanz von Verlusten einzelner Individuen bei Planungs- und Prüfentscheidungen liefern. Zum Beispiel konnten jene Arten identifiziert werden, bei denen die Mortalität besonders kritisch zu prüfen und zu bewerten ist und zudem solche Arten, bei denen der Verlust einzelner Individuen eher als unkritisch einzustufen sein dürfte. Der ermittelte MGI ersetzt allerdings nicht die Prognose und Bewertung der Mortalität im Einzelfall (Bernotat und Dierschke 2012, S. 48). Für die in der Planungspraxis stets zu berücksichtigenden vorhaben- und artspezifischen Kollisionsrisiken wurden die Ansätze von Bernotat und Dierschke (2016) aktualisiert und weiterentwickelt sowie Hinweise gegeben, wie der MGI im Rahmen von Planungen und Prüfungen bei verschiedenen Vorhabentypen berücksichtigt werden kann.

Aus der rechtswissenschaftlichen Literatur kommen Vorschläge, dass man die Bewertung des Tötungsrisikos am Beispiel Rotmilan und WEA anhand sogenannter quantitativer Risikoanalysen (QRA) vornehmen könne (Spangenberger 2011; Schlüter 2015 sowie 2013). Dieser Ansatz hat allerdings bislang in der Praxis noch keinen weiteren Niederschlag gefunden.

Rechnerische Ansätze zur Abschätzung des Kollisionsrisikos

In den letzten zirka 20 Jahren wurden verschiedene Ansätze entwickelt, um das Kollisionsrisiko von Vögeln an WEA zu modellieren, das heißt unter Einbeziehung unterschiedlicher Eingangsparameter rechnerisch abzuschätzen. Masden und Cook (2016) identifizierten und verglichen beispielsweise zehn dieser sogenannten Collision Risk Models (CRMs), die sich in der internationalen Literatur fanden, darunter auch das sog. „Band-Modell“ (z. B. Band et al. 2007), welches in Großbritannien bereits standardmäßig angewandt wird (Masden o. J.). Nach ihrer Analyse kamen die Autoren zu dem Schluss, dass alle Ansätze ihre prognostischen Grenzen hätten, z. T. sehr große Datenmengen erforderten und zudem mit vielen Annahmen bezüglich Vogelbewegungen und Vogelverhalten arbeiten. In Bezug zu letzteren rieten die Autoren, dass bei entsprechender Datenlage die Modelle validiert werden sollten (Masden und Cook 2016, S. 43).

Eine solche Validierung hatte das unlängst abgeschlossene Forschungsprojekt PROGRESS zum Ziel. Das Band-Modell sollte anhand der im Rahmen des Projektes gewonnenen Kollisionsopfer-Daten und entsprechender Raumnutzungsbeobachtungen überprüft werden (Grünkorn et al. 2016, S. 28). Dabei sollte geklärt werden, wie genau derartige Rechenmodelle die Kollisionswahrscheinlichkeit unter praxistauglichen Bedingungen abbilden können und welche Parameter in ein solches CRM einfließen müssen, damit es aussagekräftige Ergebnisse liefert. Eine weitere Frage war, in welcher Weise die Eingangsparameter die Modellergebnisse beeinflussen (ebd., S. 134). Im Rahmen des Forschungsprojektes konnte das Band-Modell jedoch nicht validiert werden. Auf der Basis der erhobenen Daten zur Flugaktivität führten die Prognosen des Modells zum Beispiel zu drastischen Unterschätzungen der Kollisionsopferzahlen. Dafür erscheint nach den Autoren vor allem der nur vage Zusammenhang zwischen der registrierbaren Flugaktivität und dem Kollisionsrisiko ursächlich zu sein (ebd., S. 184). Die größte Einschränkung des Modells beruhe auf den vielen kaum gesicherten Annahmen bezüglich des Vogelverhaltens (ebd., S. 185). Damit wurden auch die oben zitierten Ergebnisse von Masden und Cook (2016) bestätigt.

Ein weiterer rechnerischer Ansatz zur Bestimmung von populationsrelevanten Mortalitätsgrenzen stellt der Ansatz des „potential biological removal (PBR)“ nach Wade (1998) dar. Diesen verwendeten Bellebaum et al. (2013) zur Bewertung der Auswirkungen von WEA-Kollisionsopfern auf die Rotmilan-Population in Brandenburg. Die Größe der aus der Population heraus jährlich kompensierbaren Mortalität lag nach der Modellrechnung bei 4 Prozent. Der Wert durch Kollisionen mit WEA getöteten Rotmilanen im von den Autoren betrachteten Jahr 2012 entsprach demnach 3,1 Prozent des nachbrutzeitlichen Bestandes und lag somit noch unter dem PBR-Schwellenwert (ebd., S. 398).

Methodischer Ansatz des PROGRESS-Projektes für die Planungspraxis

Aus den oben aufgeführten Ergebnissen in Bezug auf die Validierung des Band-Modells schlussfolgerten Grünkorn et al. (2016, S. 236), dass belastbare quantitative Prognosen von Kollisionsopferzahlen für Vögel mit Modellen für WEA-Standorte im Binnenland nicht möglich seien. Damit verbunden könnten vor der Errichtung der WEA auch keine quantitativen Signifikanz-Schwellen in Form absoluter Kollisionsopferzahlen gebildet werden. Für die Beurteilung des Kollisionsrisikos im Hinblick auf die Frage einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos blieben somit nur einzelfallbezogene qualitative verhaltens-ökologische Beurteilungen (ebd.).

Die Autoren schlagen für derartige Beurteilungen eine Vorgehensweise anhand dreier Leitfragen vor (vgl. Grünkorn et al. 2016, S. 236 ff.). Zunächst wird geprüft, ob im Bereich des Vorhabens Arten vorkommen, die als besonders kollisionsgefährdet angesehen werden müssen. Dafür werden die Ergebnisse der systematischen Kollisionsopfersuchen des PROGRESS-Projektes, Erkenntnisse aus der Literatur und der Kollisionsopferkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg betrachtet. In einem zweiten Schritt würde die Frage beantwortet, ob die besonders kollisionsgefährdeten Arten im Bereich des Vorhabens in einer Häufigkeit vorkommen, dass die Zahl der potenziellen Opfer nennenswert in Relation zur Bestandsgröße und zur natürlichen Mortalität bezeichnet werden kann. Als Bewertungsinstrument hierfür wird der von Bernotat und Dierschke (2012) entwickelte Populationsbiologische Sensitivitäts-Index (PSI) (vgl. oben) verwendet, der anhand der Kriterien Mortalität, Reproduktion, Populationsgröße und Populationsentwicklung mit insgesamt sieben eingehenden Parametern gebildet wird. In einem dritten Schritt würde die Frage beantwortet, ob die Arten in der Gefahrenzone der geplanten WEA Verhaltensweisen zeigen, die zu einer besonderen Kollisionsgefährdung im konkreten Einzelfall führen. Hierfür werden von den Autoren allgemeine sowie artspezifische Hinweise formuliert (ebd., S. 251 ff.).

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Rechtsprechung mit Aussagen zum Populationsbezug

OVG Magdeburg (2011):
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OVG Münster (2009):
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VG Halle (2011):
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VG Minden (2010):
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