13.09.2023

Diskussion und Austausch in der KNE-Konferenz 2023

Wie gestalten wir jetzt den Artenschutz?

Anfang des vorigen Jahres hatte die Bundesregierung beschlossen, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, auch durch eine Vereinheitlichung und Standardisierung der artenschutzrechtlichen Prüfungen bei Windenergie-Vorhaben. Die Liste der angestoßenen Veränderungen ist lang: BNatSchG-Novelle, Windenergie-an-Land-Gesetz, Windenergieflächenbedarfsgesetz, die Umsetzung der EU-Notfall-Verordnung, das nationale Artenhilfsprogramm, das Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz, das am Horizont befindliche Naturflächenbedarfsgesetz und die Umsetzung der Wiederherstellung-der-Natur-Verordnung der EU.

Die Bewertung dieser Änderungen hängt für den Naturschutz maßgeblich davon ab, wie nun Instrumente ausgestaltet werden, die jenseits der Artenschutzprüfung bei der Genehmigung von Windenergieanlagen wirksam werden. Deshalb fragte die KNE-Konferenz „Wie gestalten wir jetzt den Artenschutz?“ am 5. und 6. September in drei Veranstaltungen insbesondere Naturschutzakteure, was getan werden kann bzw. muss, damit die Bilanz des Natur- und Artenschutzes aus ihrer Sicht positiv ausfällt.

„Flächen sind die neue Währung“, so fasste Stefan Tidow, Staatssekretär im Bundesumweltweltministerium, zum Auftakt der Konferenz am 5. September den Ausgangspunkt seines politischen Impulsvortrags, prägnant zusammen. Denn sowohl der Ausbau der erneuerbaren Energien als auch die Umsetzung des Artenhilfsprogramm und der Wiederherstellungsverpflichtungen benötigen Flächen zur Umsetzung. Um den Zwillingskrisen Klimawandel und Biodiversitätsverlust gemeinsam begegnen zu können, seien kluge Lösungen gefragt – für den Naturschutz und die Energiewende. Darüber hinaus ging Tidow auf verschiedene neue Regelungen und Instrumente ein, die dafür Sorge tragen sollen, dass sowohl der Ausbau der Erneuerbaren als auch der Natur- und Artenschutz voran gehen.

Prof. Dr. Thomas Potthast, Professor für Ethik, Theorie und Geschichte der Biowissenschaften an der Universität Tübingen betonte in seinem Vortrag, dass es weiterhin integrativen Naturschutz auf allen Flächen brauche. Das schließe aber nicht aus, Natur- und Artenschutz auf verschiedenen Flächen differenziert zu betrachten. Wir bräuchten eine Suffizienzpolitik, auch in Fragen des Flächenverbrauchs. Das sei kein Verzicht. Verzicht suggeriere, dass uns etwas zustehe. Es sei durchaus sinnvoll, die Frage zu stellen: Welche Bedürfnisse sind für ein gelingendes sinnvolles Leben in Gemeinschaft mit anderen und der Mitwelt wichtig? Das bedürfe des gemeinsamen Nachdenkens und Begründens, was, und auf welcher stofflichen und energetischen Basis, „wirklich“ benötigt werde. Daraus müssten dann entsprechende Regelwerke abgeleitet werden. Seine Überlegungen flossen in die sich anschließenden Gesprächsrunden ein.

Auf dem Podium diskutierten Dr. Elke Bruns (stellvertretende Direktorin im KNE), Oliver Conz (Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz), Matthias Herbert (Leiter der Abteilung Natur und Landschaft in Planung und Projekten, erneuerbare Energien im BfN), Rüdiger Nebelsieck, LL.M. (Mohr Rechtsanwälte) und Prof. Dr. Kai Niebert (Präsident des DNR) über den Umgang mit der Biodiversitätskrise und der Klimakrise sowie über die konkreten Handlungsfelder. So betonte beispielsweise Niebert, dass die beiden Stränge nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. Vor allem der Naturschutz sei in letzter Zeit in Bedrängnis geraten und müsse nun einen Befreiungsschlag wagen – weg vom Verschlechterungsverbot, hin zu einem Verbesserungsgebot. Einig waren sich die Diskutierenden über die wichtige Rolle, die das Naturflächenbedarfsgesetz für die Sicherung von Flächen für den Naturschutz spielen wird – und damit für die Bilanz des Naturschutzes beim Ausbau der Windenergie insgesamt.

Dr. Torsten Raynal-Ehrke betonte zum Abschluss der Auftaktveranstaltung, dass der große Teilnahmezuspruch bestätige, dass es einen großen Bedarf gebe, über die Folgen der neuen rechtlichen Regelungen für den Natur- und Artenschutz zu diskutieren. Zugleich bestätige der konstruktive Verlauf der Veranstaltung, die große Bereitschaft, konstruktiv nach vorne zu schauen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, die eine Win-Win-Situation ermöglichen – für den erforderlichen Ausbau der erneuerbaren Energien und den Natur- und Artenschutz.

Darüber hinaus wurden den digital Teilnehmenden verschiedene Fragen gestellt, die auch von den Gästen aufgenommen und erörtert wurden. Die Beantwortung gab einen spannenden Einblick in die Einschätzung der Probleme und Möglichkeiten. So hielten beispielsweise rund 70 Prozent populationsstützende im Vergleich zu individuenbezogenen Maßnahmen für ein geeignetes Mittel, um Artenschutzziele zu erreichen. Gut 80 Prozent sahen die Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Belange bei der Ausweisung der Windenergiegebiete als einen der wichtigsten Hebel, um ein hohes Artenschutzniveau zu sichern und ebenso 80 Prozent hielten ein verpflichtendes Monitoring der Bestandsentwicklung angesichts der eingeschränkten Datenverfügbarkeit in Genehmigungsverfahren für sehr wichtig.

Am folgenden Tag wurden in zwei Fachveranstaltungen die Themen „Vernetzte Lebensräume und Eingriffskompensation“ und „Datenverfügbarkeit und Monitoring“ fokussiert. Nach Vorträgen von verschiedene Expertinnen und Experten wurden die Themen mit den Teilnehmenden diskutiert.

Fazit

Die Diskussion zur Eingriffskompensation enthielt leidenschaftliche Plädoyers für ein Kompensationssystem, das es auf Grundlage der bestehenden Flächenagentur- und Ökokontostrukturen schafft, Flächen für die Kompensation schon vor den Eingriffen vorrätig zu halten, und in das Kompensationsverpflichtungen in sinnvolle größere Maßnahmenkonzepte einfließen können. Das Ziel: Gelder für Maßnahmen möglichst wirkungsvoll einsetzen und der Natur schneller zugutekommen lassen. Die Vorschläge reichten von der Ausweisung von Vorrangflächen für die Kompensation bis hin zu Lockerungen des Naturraumbezugs der Maßnahmen. „Wir haben am hessischen Beispiel gesehen, wie die Ausweisung von Maßnahmenräume für Arten gelingen kann, ohne dass sie sich mit bereits bestehenden Pflichten zur Wiederaufwertung doppeln würden“, betonte Dr. Mathis Danelzik, Leiter der KNE-Dialoggestaltung, dazu.

Die Diskussion zur Datenverfügbarkeit fokussierte auf die Datengrundlagen, die den Ländern gegenwärtig zur Verfügung stehen, um die Windenergiegebiete auszuweisen. Dabei zeigte sich, dass die Qualität der Bestandsdaten fundierte Planungsentscheidungen in mehreren Ländern erschwert. Deshalb gibt es in mehreren Bundesländern die Bestrebung, die Entscheidungsgrundlage in der gebotenen Eile noch zu verbessern. Die Herausforderungen und Tücken der Zusammenführung unterschiedlicher Daten und die Vielfalt der Datensammler zeigen zudem, dass hier noch ungenutzte Potenziale schlummern, die durch die Rechtsänderungen des letzten Jahres an Bedeutung gewonnen haben.