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Veröffentlicht
27.08.2024
Schlagworte
  • Flora
  • Photovoltaik

Frage

Nach den Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes muss für die Begrünung von Solarparkflächen oder die Anlage von neuen Gehölzstrukturen gebietseigenes Saat- und Pflanzgut (Regiosaatgut) verwendet werden. Warum ist dies verpflichtend und wie kann die Verfügbarkeit von Regiosaatgut sichergestellt werden?

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1. Warum muss gebietseigenes Saatgut verwendet werden?

Mit der Verwendung von Saatgut gebietseigener Herkünfte soll die genetische Vielfalt als Teil der biologischen Vielfalt erhalten werden. Gebietseigene Populationen sind besser an bestehende Umweltbedingungen angepasst und meist weniger empfindlich gegenüber Veränderungen oder Störungen (BfN 2024, ALN 2021, S. 39). Bei gebietsfremden Arten, besteht darüber hinaus die Gefahr, dass sie heimische Arten verdrängen und sich die Artenzusammensetzung der Ökosysteme verändern (ALN 2021, S. 40).

Nach § 40 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) darf daher seit dem 3. März 2020 nur noch gebietseigenes Saat- und Pflanzgut in der freien Natur ausgebracht werden. Der Begriff „freie Natur“ umfasst neben der unberührten Natur oder Flächen innerhalb von Schutzgebieten auch sonstige Flächen ohne zusammenhängende Bebauung, beispielsweise Solarparks. (BfN 2024)

Laut BNatSchG gilt eine Art als gebietseigen, wenn sie in den letzten 100 Jahren in dem betreffenden Gebiet vorgekommen ist (vgl. § 40 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG). Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) beschreibt gebietseigene Pflanzen als solche, die aus Populationen einheimischer Sippen stammen, welche sich über einen langen Zeitraum und in vielen Generationsfolgen in einem Naturraum vermehrt haben. Es wird angenommen, dass hier eine genetische Differenzierung gegenüber Populationen der gleichen Art in anderen Naturräumen erfolgt ist. (BfN 2024). Der Begriff bezieht sich nur auf Saat- und Pflanzgut von Wildpflanzen und ist nicht auf Zuchtpflanzen oder Neophyten (gebietsfremde Pflanzen) anwendbar. Land- und forstwirtschaftlich genutzte Flächen sind von der Regelung ausgenommen. Das BfN empfiehlt jedoch, auch auf diesen Flächen gebietseigenes Saat- und Pflanzgut zu verwenden, sofern die Verfügbarkeit gegeben ist (BfN 2024).

2. Welche Formen von gebietseigenem Saatgut gibt es?

Bei gebietseigenem Saat- und Pflanzgut wird zwischen solchem für Gehölze und solchem für krautige Arten unterschieden.

Gehölze

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) hat 2012 einen „Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze“ für aus-schreibende Stellen sowie Planerinnen und Planer veröffentlicht (BMU 2012). Darin beschreibt die Arbeitsgruppe „Gebietseigene Gehölze“ insgesamt sechs Vorkommensgebiete für die kommerzielle Produktion und Ausbringung von Gehölzen in Deutschland. Der Leitfaden enthält kartografische Darstellungen und Artenlisten mit häufig gewählten Pflanzen für jedes Vorkommensgebiet. Diese Listen sind nicht abschließend, sondern sollen beispielhaft Arten für das jeweilige Gebiet vorstellen (BMU 2012, S. 10). In Bayern, Baden-Württemberg und Brandenburg wurden darüber hinaus aufgrund der großen naturräumlichen Unterschiede weitere länderspezifische Einteilungen vorgenommen, auf die im Leitfaden verwiesen wird (BMU 2012, ebd.).

Die Produktion gebietseigener Gehölze wird ausschließlich mit Saatgut aus dem jeweiligen Vorkommensgebiet durchgeführt, kann aber auch außerhalb von Forsten sowie auf Flächen außerhalb des Vorkommensgebietes erfolgen (BMU 2012).

Krautige Arten

Saatgut von krautigen Arten wird unterteilt in lokales, regionales und subregionales Saat- und Pflanzgut. Lokales Saatgut wird aus Arten mit engem Verbreitungsgebiet und enger Bindung an den Ort der Ausbringung erzeugt. Es kann durch Mahdgutübertragung von Spenderflächen gewonnen werden. Dabei wird der diasporenhaltige Aufwuchs einer artenreichen Spenderfläche abgemäht und auf eine artenärmere Empfängerfläche übertragen (ANL 2024, S. 39-46). Dies sollte zum Zeitpunkt der beginnenden Samenreife zwischen Mitte Juni und Anfang August durchgeführt und noch am selben Tag auf die Empfängerfläche aufgebracht werden (Agridea 2015, S. 6). Alternativ kann das Mahdgut noch eine Weile auf der Spenderfläche verbleiben, damit es trocknen und einige Samen herausfallen können. Mit dieser Methode, der Heumulchübertragung, kann eine Aushagerung der Spenderfläche vermieden werden (BfN 2024), es wird jedoch weniger Saatgut auf die Empfängerfläche übertragen (Agridea 2015, S. 7). Bei der Auswahl der Spenderfläche sollte neben der Artenzusammensetzung auch auf die Nähe zur Empfängerfläche geachtet werden. Ein Praxisleitfaden der Agridea (2015) empfiehlt eine Distanz von maximal 30 Kilometern und Höhenunterschiede von maximal 300 Metern. Durch die Nähe der Flächen zueinander sollen ähnliche Klima- und Bodenbedingungen und somit bessere Etablierungschancen der Pflanzen gewährleistet werden (Agridea 2015, S. 4).

Das lokale Saatgut eignet sich für die Begrünung von hochwertigen Flächen, beispielsweise für Artenschutz- und Renaturierungsmaßnahmen. Es gibt innerhalb des lokalen Saatguts nochmals eine Unterscheidung in naturraumtreues Saatgut, welches direkt aus dem betroffenen Gebiet stammt, und Vor-Ort-Saatgut, dessen Herkunft in der Nähe des betroffenen Gebietes liegt (BfN 2024, Skowronek et al. 2023, S. 38).

Regionales Saat- und Pflanzgut, auch Regiosaatgut / -pflanzgut genannt, wird artspezifisch produziert. Dazu werden die Samen auf geeigneten Flächen gesammelt und anschließend auf einem Acker ausgebracht. Das Saatgut wird auf diese Weise über maximal fünf Generationen vermehrt und zu Saatgutmischungen zusammengestellt. Regiosaatgut eignet sich vor allem für Standardbegrünungen bei Infrastrukturmaßnahmen, aber auch spezifische naturschutzfachliche Ziele können, je nach Zielsetzung, hiermit erreicht werden. Die Mischungen sollten nur weit verbreitete Arten enthalten, die auf mehr als 60 Prozent der Fläche der Herkunftsregion vorkommen. (Skowronek et al. 2023, S. 30)

In einem Forschungsprojekt der Leibniz Universität Hannover aus dem Jahr 2010 wurden 22 Herkunftsregionen in Deutschland für die kommerzielle Produktion von Regiosaatgut abgegrenzt (Prasse et al. 2010). Die Abgrenzung orientiert sich an der naturräumlichen Gliederung Deutschlands und wurde auch in die Erhaltungsmischungsverordnung (ErMiV) übernommen. Die ErMiV regelt das Inverkehrbringen von Erhaltungsmischungen und unterteilt die 22 Herkunftsregionen nochmals in 8 Produktionsräume. In den Produktionsräumen können Arten auch außerhalb ihres Herkunftsgebietes produziert werden.

Die Vorgaben der ErMiV regeln somit die Produktionsbedingungen und das Inverkehrbringen, während das BNatSchG den rechtlichen Rahmen für das Ausbringen schafft (BfN 2024). In Deutschland gibt es zudem zwei Möglichkeiten der Zertifizierung für Regiosaatgut, über VWW Regiosaatgut (Verband deutscher Wildsamen- und Wildpflanzenproduzenten e. V.) und Regiozert (Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V.) (BfN 2024, Skowronek et al. 2023, S. 65).

Subregionales Saat- und Pflanzgut ist eine Unterform des regionalen Saatguts. Es wird aus Arten gewonnen, die nur in einem Teil des Ursprungsgebietes natürlich vorkommen (auf unter 60 Prozent der Fläche). Das Saatgut ist daher nur in Teilgebieten einsetzbar und kann im Einzelfall regionales Saatgut ergänzen. Die Produktion erfolgt wie beim Regiosaatgut für jede Art einzeln (BfN 2024, Skowronek et al. 2023).

3.  Was tun, wenn gebietseigenes Saat- und Pflanzgut knapp ist?

Auch bei der Begrünung von Solarparks greift § 40 BNatSchG und die Verpflichtung Regiosaatgut zu verwenden. Dies gilt ebenso für die Einsaat unter und zwischen den Modulreihen wie für die Anlage von zusätzlichen Habitaten, wenn die PV-Freiflächenanlagen zur Einbindung in das Landschaftsbild vollständig mit Hecken eingefriedet oder Wildtierkorridore angepflanzt werden. Aufgrund der aktuellen Änderungen des EEG durch das Solarpaket 1 werden zukünftig mehr Flächen förderfähig, wodurch mehr und größere Solarparks zu erwarten sind. Demzufolge ist davon auszugehen, dass die Nachfrage nach gebietseigenem Saat- und Pflanzgut steigen wird.

In diesem Zusammenhang sind die Hinweise im Leitfaden des BMUV zur Verwendung gebietseigener Gehölze nach wie vor aktuell: die Verfügbarkeit des Materials muss frühzeitig im Planungsprozess regional überprüft werden (BMU 2012, S. 14). Ist diese nicht gegeben und soll ersatzweise gebietsfremdes Material verwendet werden, gilt hierfür eine Genehmigungspflicht. Der Antrag ist bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde zu stellen und wird von dieser entsprechend dem Gefährdungspotenzial für die übrige Flora beurteilt (BMU 2012, S. 21).

Im „Leitfaden zur Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten in der freien Natur Deutschlands“ des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) werden weitere Vorgehensweisen zur Vermeidung von Engpässen bei gebietseigenem Saatgut für krautige Arten beschrieben und in einem Prüfschema visualisiert (Skowronek et al. 2023, S. 57). Das BfN empfiehlt den Auftragsgebenden sich frühzeitig mit der Frage zu beschäftigen, wie viel Saatgut sie benötigen und wo sie es beschaffen können. Dabei ist auch zu klären, ob lokales Saatgut gewonnen werden kann oder ob regionales Saatgut verwendet werden soll. Bei einem Mangel an lokalem Saatgut sollte geprüft werden, ob eine zeitliche Verschiebung der Begrünung oder eine Ergänzung mit regionalem und subregionalem Saatgut möglich ist (Skowronek et al. 2023, S. 57). Zudem kann das projektbezogene Vorziehen von Pflanzen bei Saatgutherstellern oder der Verzicht auf einzelne Arten in einer Saatgutmischung in Betracht gezogen werden. Erst wenn nach beiden Prüfungen kein geeignetes Saatgut zur Verfügung steht, kann bei der zuständigen Naturschutzbehörde die Verwendung gebietsfremder Herkünfte beantragt werden. Hierfür muss der Vorhabensträger nachweisen, dass die Verwendung der gebietsfremden Pflanzen nicht zu einer Gefährdung des Ökosystems, der Biotope und Arten führt. Eine Genehmigung kann nicht aus dem Grund der Nichtverfügbarkeit erteilt werden, entscheidend ist die Einschätzung der möglichen Gefährdung (Skowronek et al. 2023, ebd.).

Um zu verhindern, dass gebietseigenes Saatgut nicht verfügbar ist, können bereits im Vorfeld Maßnahmen ergriffen werden. Das BfN schlägt unter anderem vor, dass die Bundesländer Strategien zur Sicherung der Verfügbarkeit entwickeln. Empfohlen werden Maßnahmen wie beispielsweise die verstärkte Nutzung von Spenderflächen für Mähgutübertragungen, Förderprogramme für die Produktion oder die Anlage von Spenderflächenkatastern. Hilfreich wäre auch eine Liste mit Arten, deren Gefährdungspotenzial bereits geprüft wurde und auf die bei Nichtverfügbarkeit des geeigneten Saatguts zurückgegriffen werden kann (Skowronek et al. 2023, S. 57).

4. Besondere Herausforderungen im Solarpark

Einige Hersteller sind bereits auf die erhöhte Nachfrage eingestellt und bieten speziell für die Begrünung von Solarparks entwickelte Saatgutmischungen für krautige Arten an. Diese enthalten vor allem niedrigwüchsige Pflanzenarten, um eine Beschattung der Solarmodule zu vermeiden. Zusätzlich wird bei der Zusammenstellung der Mischungen darauf geachtet, dass sie sowohl sonnenliebende als auch schattenverträgliche Arten in ausgewogenem Verhältnis enthalten. Ziel ist es, den unterschiedlichen Standortbedingungen innerhalb des Solarparks gerecht zu werden. Die optimale Zusammensetzung der Saatgutmischungen ist aktuell auch Gegenstand der Forschung, beispielsweise im Projekt „Biodiversität im Solarpark - Innovative Konzepte und Aufbau von Demonstratoren zur besseren Vereinbarkeit von Photovoltaik-Freiflächenanlagen, Naturschutz und Landwirtschaft“ an der Hochschule Anhalt (offenlandinfo.de).

Sollten derartige Mischungen nicht in ausreichender Menge oder Qualität zur Verfügung stehen, könnte die oben genannte Mähgutübertragung Anwendung finden. Hierfür müssten der Zeitpunkt der Mähgutübertragung (zwischen Mitte Juni und August) und die Baumaßnahmen in den Solarparks gut aufeinander abgestimmt werden. (Offendlandinfo.de; Hietel et al. 2021, S. 23 f.) Denkbar wäre auch, dass mit einem fachgerechten Pflegekonzept artenreiche Grünlandvegetation in einem Solarpark entwickelt wird und dieser als Spenderfläche für weitere Solarparks in der Region genutzt wird.

Eine weitere Maßnahme zur Vermeidung von Engpässen und Mangel an Saatgut ist der Schutz bestehender Vegetation vor und während der Errichtung von Solarparks. Dies gilt insbesondere auch für Gehölzbestände (zum Beispiel Sichtschutzhecken oder Wildtierkorridore), die ebenfalls in großem Umfang neu angelegt werden. Ziel sollte es sein Nachpflanzungen möglichst zu vermeiden und damit den Bedarf an zusätzlichem Saat- und Pflanzgut zu reduzieren.

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Literaturverzeichnis

BfN – Bundesamt für Naturschutz (2024): Gebietseigene Herkünfte. Link zur Internetseite (letzter Zugriff 27.08.2024).


BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (2012): Leitfaden zur Verwendung gebietseigener Gehölze. Berlin. 30 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.08.2024).


BNatSchG – Bundesnaturschutzgesetz (2009): § 40 Ausbringen von Pflanzen und Tieren. Link zur Internetseite (letzter Zugriff 27.08.2024).


Crispi, N., Hoiß, B. (2021): Warum eigentlich gebietsheimisches Saatgut? ANLiegen Natur 43 (2). S. 39–46. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.08.2024).


Hölzl, S., Korbacher, L. (2024): Mähgutübertragung voranbringen. ANLiegen Natur 46 (1). S. 91–92. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 26.08.2024).


Hietel, E., Reichling, T., Lenz, C. (2021): Leitfaden für naturverträgliche und biodiversitätsfreundliche Solarparks – Maßnahmensteckbriefe und Checklisten. 54 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.08.2024).


LfU – Bayrisches Landesamt für Umwelt (2024): Regionaler Artentransfer mit Übertragungsverfahren und Ansäen von Blühflächen. Link zur Internetseite (letzter Zugriff 27.08.2024).


Offenlandinfo.de (2024): Biodiversität im Solarpark - Innovative Konzepte und Aufbau von Demonstratoren zur besseren Vereinbarkeit von Photovoltaik-Freiflächenanlagen, Naturschutz und Landwirtschaft (BIODIV-SOLAR). Hochschule Anhalt. Link zur Internetseite (letzter Zugriff 27.08.2024).


Prasse, R., Kunzmann, D., Schröder, R. (2010): Entwicklung und praktische Umsetzung naturschutzfachlicher Mindestanforderungen an einen Herkunftsnachweis für gebietseigenes Wildpflanzensaatgut krautiger Pflanzen Abschlussbericht. Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Hannover. 166 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.08.2024).


Skowronek, S., Eberts, C., Blanke, P., Metzing, D. (2023): Leitfaden zur Verwendung von gebietseigenem Saat- und Pflanzgut krautiger Arten in der freien Natur Deutschlands - Hinweise zur Umsetzung des § 40 Abs. 1 BNatSchG. BfN-Schriften 647. BfN - Bundesamt für Naturschutz, Bonn. 97 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.08.2024).


Staub, M., Benz, R., Bischoff, W., Bosshard, A., Burri, J., Viollier, S., Bischofberger, Y. (2015): Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut. AGRIDEA, Lausanne. 15 S. Link zum Dokument(letzter Zugriff: 27.08.2024).