Information

Veröffentlicht
20.07.2021
Schlagworte
  • Gerichtliche Konflikte
  • Horstschutz
  • Nachträgliche Ansiedlung
  • Nisthilfen
  • Vögel
  • Windenergie

Frage

Kann eine künstliche Nisthilfe, die sich in der Nähe einer bereits genehmigten Windenergieanlage befindet, entfernt werden, um so zu verhindern, dass sich eine windenergiesensible Vogelart dort ansiedelt und dies zu einem artenschutzrechtlichen Konflikt führt?

!Antwort

1. Problembeschreibung

Befinden sich in der Nähe von Windenergieanlagen künstliche Nisthilfen, so kann dies dazu führen, dass sich dort windenergiesensible Vogelarten ansiedeln und sich das Tötungsrisiko für diese Exemplare aufgrund der Nähe zur Windenergieanlage signifikant erhöht. Der so entstehende artenschutzrechtliche Konflikt kann eine Einschränkung der Genehmigung nach sich ziehen, wenn die zuständige Behörde, zur Vermeidung des Konflikts, eine zeitweise Abschaltung der Windenergieanlage anordnet. Wird die Windenergieanlage zeitweise abgeschaltet, würde der Stromertrag verringert und damit der Beitrag zum Klimaschutz begrenzt. Zudem wäre die Rentabilität der Investition des Vorhabenträgers beeinträchtigt. Zwar kann die Behörde eine bereits bestandskräftige Genehmigung zur Vermeidung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos einschränken, gleichzeitig könnte sie bei einem (Teil-)Widerruf der Genehmigung aber auch schadensersatzpflichtig werden.[1]

Daher ist der Frage nachzugehen, ob künstliche Nisthilfen, die sich in der Nähe von Windenergieanlagen befinden, abgebaut werden können, um zu verhindern, dass sich windenergiesensible Vogelarten dort ansiedeln und dies zu einem artenschutzrechtlichen Konflikt führt.

2. Beseitigung künstlicher Niststätten

Ein aktueller Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin Brandenburg (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.10.2020 – OVG 11 S 72/20) befasst sich mit der Frage, ob ein Anspruch des Genehmigungsinhabers auf Beseitigung einer künstlichen Niststätte besteht, wenn diese bei Besatz durch eine windenergieempfindliche Vogelart zu einem artenschutzrechtlichen Konflikt führt. Es wurden ein bauordnungsrechtlicher und naturschutzrechtlicher Anspruch geltend gemacht und durch das Gericht geprüft. Allerdings handelte es sich um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, so dass das Gericht die Wahrscheinlichkeit der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vorliegend lediglich summarisch geprüft hat.

Da das Gericht nicht hinreichend sicher prognostizieren konnte, ob ein Anspruch auch nach dem Hauptsacheverfahren bestehen würde, lehnte es den Antrag im Eilrechtsschutz ab. Hätte es den Anspruch bejaht, hätten die Nisthilfen bereits vor der Entscheidung der Hauptsache abgebaut werden können, so dass vollendete Tatsachen geschaffen worden wären, selbst wenn das Hauptsacheverfahren anders ausgehen sollte. Eine solche sogenannte „Vorwegnahme der Hauptsache“ ist nur gerechtfertigt, wenn ein Obsiegen in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich und das Abwarten der Hauptsacheentscheidung schwere und nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Nichtsdestotrotz ist die Prüfung des Gerichts im Hinblick auf die rechtliche Problemlage aufschlussreich.

2.1 Bauordnungsrechtlicher Beseitigungsanspruch

Der Genehmigungsinhaber machte in dem oben benannten Verfahren einen bauordnungsrechtlichen Beseitigungsanspruch im Hinblick auf eine Nisthilfe geltend.

Anlagen, die im Widerspruch zu den bauordnungsrechtlichen Vorschriften errichtet wurden, können grundsätzlich beseitigt werden. Dies ist in den jeweiligen Bauordnungen der Länder geregelt. Das Gericht musste sich daher mit der Frage befassen, ob eine künstliche Nisthilfe eine bauliche Anlage im Sinne des Baurechts ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) fallen unter den Begriff der baulichen Anlage "alle Anlagen, die a) in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und infolgedessen b) die in BBauG § 1 Abs. 4 und 5 genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen" (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.1973 – IV C 33/71, Leitsatz 1 und Rn. 19, f. bei juris). Das Gericht hatte Zweifel, ob auch eine natürliche Verbindung mit dem Erdboden, wie dies bei einer am Baum angebrachten Nisthilfe der Fall ist, für die Definition der baulichen Anlage ausreiche. Das Gericht tendierte zudem dahin, dass es sich bei Nisthilfen um unbedeutende bauliche Anlagen wie Jägerstände, Wildfütterungen, Bienenfreistände oder Taubenhäuser handele, die genehmigungsfrei seien.

Das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Bauverbot im Außenbereich erschien dem Gericht ebenfalls zweifelhaft. Daher kam es zu dem Schluss, dass es für den bauordnungsrechtlichen Beseitigungsanspruch keine hinreichenden Erfolgschancen in der Hauptsache sehe.

2.2 Naturschutzrechtlicher Anspruch

Einen naturschutzrechtlichen Anspruch auf die Beseitigung der künstlichen Niststätte verneint das OVG Berlin/Brandenburg ebenfalls. Der Antragsteller hatte argumentiert, dass bei einer Ansiedlung einer windenergiesensiblen Vogelart seine, durch die Genehmigung geschützte, Investition gefährdet sei. Das Gericht meinte indes, dass es zwar durchaus möglich sei, dass sich ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko ergeben könne, wenn eine windenergiesensible Art die Nisthilfe belegt. Jedoch entfalte die ins Feld geführte Norm, nämlich das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), keine drittschützende Wirkung, so dass sich der Genehmigungsinhaber nicht zum Schutz seiner Rechtsposition auf sie berufen könne.

Eine drittschützende Wirkung kommt Normen zu, wenn diese neben dem Schutz öffentlich-rechtlicher Interessen auch dem Interesse Einzelner dienen soll. Das Gericht meint, dass es bei einer überschlägigen Prüfung nicht ohne weiteres davon ausgehen könne, dass das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG auch den Zweck habe, die immissionsschutzrechtliche Position des Betreibers einer Windkraftanlage zu sichern.

Das Gericht prüfte in diesem Fall lediglich Beseitigungsansprüche, weil dies dem Antragsbegehren entsprach. Denkbar wäre aber auch, die Niststätte in ein geeignetes Habitat zu verlegen, wie es auch die neue Verwaltungsvorschrift aus Hessen in ähnlich gelagerten Fällen vorsieht.

3. Verlegung einer künstlichen Nisthilfe

Die Verwaltungsvorschrift aus Hessen sieht für den Fall, dass sich „eine Art nach der WEA-Genehmigung, aber noch vor der WEA-Errichtung“ und innerhalb des „Nahbereichs“ ansiedelt, eine Verlagerung von Horsten in geeignete Habitate vor. (HMUKLV/HMWEVW (2020) S. 30 f.) Wenn dies für besetzte und natürlich angelegte Horste möglich ist, sollte es ebenfalls für künstliche und unbesetzte Nisthilfen in Betracht kommen können.

3.1 Schutz einer künstlichen Nisthilfe

Ohne Weiteres können künstliche Nisthilfen allerdings nicht verlegt werden, denn auch sie genießen als Fortpflanzungsstätte für besonders geschützte Arten den Schutz des Bundesnaturschutzgesetzes. Die Regelung des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG, wonach es verboten ist, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, ist nicht auf natürlich entstandene Lebensstätten beschränkt. (Vgl. Gellermann in: Landmann/Rohmer, UmweltR, 94. EL Dezember 2020, BNatSchG, § 44, Rn. 16)

In zeitlicher Hinsicht erfahren die Fortpflanzungs- und Ruhestätten während ihrer gesamten Nutzungsdauer den Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG. Werden sie über Jahre hinweg immer wieder genutzt, genießen sie diesen Schutz während ihrer gesamten Nutzungsdauer, der nicht an die Anwesenheit der Vögel gebunden ist. (Vgl. Gellermann in: Landmann/Rohmer, UmweltR, 94. EL Dezember 2020, BNatSchG, § 44, Rn. 18)

3.2 Verlegung der Nisthilfe in ein geeignetes Habitat

Gemäß § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 BNatSchG liegt das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird. Das Verbot besteht nicht, wenn die betreffende Lebensstätte nur umgesetzt wird und die Lebensstätte nutzenden Tiere den neuen Standort annehmen. (Vgl. Müller-Walter in: Lorz et al., Naturschutzrecht, § 44, Rn. 24). Bei einer noch gar nicht belegten Niststätte müsste sodann konsequenterweise auch die Nachweispflicht entfallen, dass diese angenommen werden. Allerdings müsste die Niststätte in ein geeignetes Habitat verlegt werden, so dass ein potenzieller Besatz auch möglich wird, um die Voraussetzung des Funktionserhaltes bei der Verlegung zu erfüllen. Dies würde beispielsweise einschließen, dass das neue Habitat noch nicht von anderen Artgenossen oder Arten mit vergleichbaren Habitatansprüchen besetzt ist.

4. Ergebnis und Fazit

Das artenschutzrechtliche Tötungsverbot hat nach der Entscheidung des OVG Berlin/Brandenburg nicht den Zweck, die immissionsschutzrechtliche Position des Genehmigungsinhabers zu schützen. Ein naturschutzrechtlicher Beseitigungsanspruch aufgrund eines potenziell eintretenden Tötungsverbotes scheidet daher aus. Ebenfalls scheidet ein baurechtlicher Beseitigungsanspruch aus, weil künstliche Niststätten wohl allenfalls als unbedeutende und damit genehmigungsfreie Anlagen einzuordnen sind, wenn sie überhaupt den Begriff der „baulichen Anlage“ erfüllen.

Nichtsdestotrotz kann die zuständige Behörde auch von sich aus tätig werden, wenn nach der Erteilung einer Genehmigung künstliche Niststätten entdeckt werden, die im Falle einer Ansiedlung von windenergiesensiblen Vogelarten zu einem artenschutzrechtlichen Konflikt führen würden. Um diesen Konflikt vorzubeugen, könnte die Behörde die Niststätte verlegen. Insbesondere bei noch nicht besetzten künstlichen Niststätten bietet sich eine Verlegung in ein geeignetes Habitat an, um so einen sicheren Brutstandort anzubieten und gleichzeitig CO2-neutrale Stromerzeugung zu ermöglichen und etwaigen Schadensansprüchen aufgrund eines (Teil-)Widerrufs entgegenzuwirken.

[1] S. zu nachträglichen Änderungen der Genehmigung aufgrund artenschutzrechtlicher Konflikte: KNE-Antwort 284_Berücksichtigung von nach der Genehmigung entdeckter Brutvorkommen im Nahbereich von Windenergieanlagen (Link zum Dokument).

Wie hilfreich war dieser Beitrag?

Klicke auf die Sterne um zu bewerten!

Literaturverzeichnis

HMUKLV / HMWEVW (2020). Gemeinsamer Runderlass des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen Verwaltungsvorschrift (VwV) „Naturschutz/Windenergie“. Link zu Dokument. (Letzter Zugriff: 20.07.2021).


KNE-Antwort 284_Berücksichtigung von nach der Genehmigung entdeckter Brutvorkommen im Nahbereich von Windenergieanlagen. Link zum Dokument. (Letzter Zugriff: 20.07.2021).


Landmann/Rohmer, Beckmann, M., Durner, W., Mann, T., & Röckinghausen, M. (2019). UmweltR - Umweltrecht – Kommentar. 92. Ergänzungslieferung: Vols. I-IV. C.H. Beck-Verlag.


Lorz, A., Konrad, C., Mühlbauer, H., Müller-Walter, M. H., & Stöckel, H. (2013). NaturschutzR – Naturschutzrecht (3. Auflage). C.H. Beck-Verlag.


Gerichtliche Entscheidungen


BVerwG, Urteil vom 31. August 1973 – IV C 33/71.


OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.10.2020 – OVG 11 S 72/20.