Solarpaket 1: Mindestkriterien können den Naturschutz im Solarpark stärken

Der Bundesrat hat am 26. April 2024 dem Gesetzesentwurf zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und weiterer energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften („Solarpaket 1“) zugestimmt. Das Gesetz tritt damit am Tag nach seiner Verkündung (16. Mai 2024) in Kraft. Es bietet grundsätzlich Potenzial, um zu mehr Naturverträglichkeit im Solarpark zu gelangen. Bei der konkreten Ausgestaltung der neuen Regelungen sollten aber noch Präzisierungen vorgenommen werden.

Mit dem Solarpaket 1 soll der Ausbau der Photovoltaik (PV) beschleunigt und entbürokratisiert, aber auch die naturverträgliche Gestaltung von Solarparks gefördert werden. In seiner Einordnung und Bewertung fokussiert sich das KNE auf zwei Neuerungen:

  • die Erweiterung der Kulisse der nach EEG vergütungsfähigen Flächen und
  • die fünf naturschutzfachlichen Mindestkriterien.

Neuregelungen zur Erweiterung der Förderkulisse

Aus Opt-In wird Opt-Out: Neue Förderkriterien für PV in benachteiligten Gebieten.

Mit der bisherigen Opt-In-Option im EEG konnten bzw. mussten die Bundesländer über eigene Verordnungen Acker- und Grünlandflächen in benachteiligten Gebieten freigeben, um die Bebauung mit Solarparks zu ermöglichen. Dies wird nun auf eine Opt-Out-Option umgestellt.

PV-Freiflächenanlagen sind auf Acker- und Grünlandflächen in benachteiligten Gebieten jetzt generell nach EEG vergütungsfähig.[1] Das gilt auch für Solarparks in Landschaftsschutzgebieten oder Naturparks, die in diesen Gebieten liegen. Ausgenommen sind Natura-2000-Gebiete, gesetzlich geschützte Biotope, Lebensraumtypen nach Anlage I der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, Naturschutzgebiete, Nationalparks, Nationale Naturmonumente und Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten.[2]

Diese weitgehende Öffnung der Vergütungsfähigkeit für PV-Anlagen in benachteiligten Gebieten können die Bundesländer mit der Opt-Out-Option wieder begrenzen, indem sie Regelungen treffen, geplanten Solarparks in Landschaftsschutzgebieten und Naturparks im Zuschlagsverfahren des ersten Segments die Gebotsfähigkeit abzuerkennen. Damit sind diese Gebote dann also teilweise oder ganz von der Teilnahme an Ausschreibungen nach EEG ausgeschlossen. Darüber hinaus besteht für die Länder die Möglichkeit, die Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen in benachteiligten Gebieten oberhalb eines Schwellenwerts von 1 Prozent (bzw. 1,5 Prozent ab 2031) einzuschränken.

Deutlich mehr Fläche förderfähig – Ausbau aber nicht unbegrenzt.

Die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen wird zusätzlich zur Opt-Out-Option der Länder noch über einen zweiten Mechanismus eingeschränkt: Es gilt bis zum Jahr 2030 ein bundesweites Förderlimit von 80 Gigawatt für neue Solarparks auf landwirtschaftlichen Flächen. In den Folgejahren wird die Deckelung auf 177,5 Gigawatt angehoben.[3] Der Ausbau soll also trotz der Öffnung der benachteiligten Gebiete nicht völlig unbegrenzt erfolgen.

Anhebung der Gebotsmenge – Steuerung auch größerer Solarparks wird möglich.

Die maximale Gebotsmenge für einen Solarpark wird von je 20 auf je 50 Megawatt angehoben.[4] Damit werden deutlich größere Solarparks als bisher vergütungsfähig nach EEG. Diese Regelung führt dazu, dass sich die Steuerungswirkung des EEG hinsichtlich der Standortwahl und der Standards zur Ausgestaltung auch auf große Anlagen auswirken kann. Anzumerken ist aber, dass zwei Drittel der Solarparks ohne EEG-Förderung betrieben werden und sie somit die Auflagen nicht erfüllen müssen.[5]

Neuregelungen zum Naturschutz

Im ersten Entwurf zur Änderung des EEG 2023 war das Segment der ‚besonderen Solaranlagen‘ um zwei neue Anlagentypen erweitert worden, die mit einem zusätzlichen Bonus vergütet werden sollten. Die sogenannten „Biodiversitätssolaranlagen“ sollten, wie auch die „Extensiveren Solaranlagen mit landwirtschaftlicher Nutzung“, einen Anreiz bieten, mehr Artenvielfalt auf den Flächen zu erreichen.

Betreiber müssen mindestens drei von fünf naturschutzfachlichen Mindestkriterien umsetzen.

Beide Anlagentypen sind im novellierten EEG nicht mehr enthalten. Sie wurden entsprechend dem Änderungsantrag der „Ampel“-Fraktionen vom 15. April 2024 durch fünf „naturschutzfachliche Mindestkriterien“ ersetzt. Diese gelten für alle Solaranlagen des ersten Segments, wobei besondere Solaranlagen ausgenommen sind. Gebote dürfen nur abgegeben werden, wenn die geplanten Anlagen mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllen sollen:

1. die von den Modulen maximal in Anspruch genommene Grundfläche beträgt höchstens 60 Prozent der Grundfläche des Gesamtvorhabens,

2. auf den Boden unter der Anlage wird ein biodiversitätsförderndes Pflegekonzept angewandt, indem
a) die Mahd zur Förderung der Biodiversität maximal zweischürig erfolgt und das Mahdgut abgeräumt wird oder
b) die Fläche als Portionsweide mit biodiversitätsfördernd an den Flächenertrag angepasster Besatzdichte beweidet wird,

3. die Durchgängigkeit für Tierarten wird gewährleistet, indem
a) bei Anlagen, die an mindestens einer Seite eine Seitenlänge von mehr als 500 Metern aufweisen, Wanderkorridore für Großsäuger angelegt werden, deren Breite und Bepflanzung die örtlichen Gegebenheiten berücksichtigen, und
b) die Durchgängigkeit für kleinere Tierarten gewährleistet wird,

4. auf mindestens 10 Prozent der Fläche der Anlage werden standortangepasste Typen von Biotopelementen angelegt,

5. die Anlage wird bodenschonend betrieben, indem
a) auf der Fläche keine Pflanzenschutz- oder Düngemittel verwendet werden und
b) die Anlage nur mit Reinigungsmitteln gereinigt wird, wenn diese biologisch abbaubar sind und die Reinigung ohne die Verwendung der Reinigungsmittel nicht möglich ist.“[6]

Werden Verstöße gegen die Einhaltung der Kriterien bekannt, werden diese sanktioniert.[7] Die Bundesnetzagentur kann festlegen, in welcher Weise der Nachweis der Einhaltung zu führen ist.[8] In der Gesetzesbegründung wird betont, dass auch Mindestkriterien zulässig sind, die aufgrund technischer oder baulicher Besonderheiten bereits erfüllt sind. Die gewählten Mindestkriterien können darüber hinaus als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen berücksichtigt werden.

In der Begründung zum Änderungsantrag wird darauf hingewiesen, dass das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) einen Leitfaden zur Umsetzung der Mindestkriterien und zu geeigneten Nachweisen herausgeben will.[9]

Naturschutzfachliche Mindestkriterien in der Praxis

Mit dem Solarpaket 1 haben naturschutzfachliche Mindestkriterien für Solarparks erstmals Eingang in das EEG gefunden. Sie sind ein wichtiges Signal an die Akteure und sollen zur „Vereinbarkeit von geförderten Freiflächenanlagen mit Natur und Landschaft“ beitragen.[10] Die Bündelung der Maßnahmen zu fünf Kriterien macht ihre Anwendung leicht überschaubar. Es ist zu erwarten, dass die Nachweispflicht zu einer hohen Verbindlichkeit führt. Sie bietet gegenüber der aktuellen Praxis ein großes Verbesserungspotenzial, da bisher häufig weder Nachkontrollen noch ein Monitoring der Naturschutzmaßnahmen stattfinden.

Die Reduzierung von Anforderungen ist kontraproduktiv.

Die fünf Mindestkriterien könnten bei vollständiger Beachtung zu ökologisch wertvolleren Solarparks führen, als sie aktuell vielerorts gebaut werden. Für die Förderfähigkeit muss allerdings nur die Umsetzung von drei dieser fünf Kriterien nachgewiesen werden. Diese Reduktion der ökologischen Anforderungen eröffnet die Option, an Solarparks mit eher geringem ökologischem Wert festzuhalten. Dies liegt nicht im Interesse des Naturschutzes. Ein Beispiel.

Ein Projektierer entscheidet sich für die ohne zusätzlichen Aufwand umsetzbaren Kriterien 1 und 5. Wählt er Kriterium 4 als dritte Voraussetzung hinzu, bliebe auf einer Fläche mit 50 Hektar Solarpark nur noch die Notwendigkeit auf 5 Hektar „standortangepasste Typen von Biotopelementen“ anzulegen, um die Förderfähigkeit zu erreichen. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass hierunter entweder „Anpflanzungen heimischer Sträucher und Hecken oder die Einsaat der Flächen mit artenreichem regionalem Saatgut“ zu verstehen sind. Da durch das Bundesnaturschutzgesetz die Verwendung von gebietsheimischem Saatgut in der freien Landschaft ohnehin vorgeschrieben ist,[11] wäre dieses Kriterium auch ohne explizite Erwähnung im EEG zu erfüllen. Die Förderfähigkeit würde bei dieser Beispielauswahl erreicht, aber die eigentlich aus Biodiversitätsgründen wünschenswerte Durchlässigkeit der Anlagen würde ebenso wenig hergestellt, wie ein biodiversitätsförderndes Pflegekonzept aufgestellt und umgesetzt.

Auf Länderebene festgelegte Kompensationserfordernisse gelten weiterhin.

Mit der Option der Reduzierung auf nur drei bleiben die Mindestkriterien hinter bereits bestehenden Standards für eine naturverträgliche Ausgestaltung zurück. Nach derzeitiger Praxis werden durch die Kommunen im Rahmen der Planung von PV-Freiflächenanlagen Verminderungs- und Vermeidungsmaßnahmen festgelegt und im Bebauungsplan festgeschrieben. Viele Bundesländer haben bereits Handreichungen erarbeitet, die in der Regel sogar mehr als die fünf Maßnahmen des EEG benennen und die von den Kommunen angewendet werden. Die zum Teil sehr detailliert ausgearbeiteten Hinweise und Vorgaben zur Eingriffsregelung haben weiterhin Bestand.

Für Projektierer gilt es daher zu beachten, dass sie nun möglicherweise doppelte Standards erfüllen müssen. Zum Erreichen der Förderfähigkeit müssen die Mindestkriterien nach EEG erfüllt und ihr Vollzug dem Netzbetreiber nachgewiesen werden. Im Rahmen der Bauleitplanung oder der Baugenehmigung werden aber sehr wahrscheinlich zusätzliche Kompensationsmaßnahmen oder auch Artenschutzmaßnahmen zu erfüllen sein.

Einordnung und Empfehlung des KNE

Das KNE geht davon aus, dass die hier betrachteten Neureglungen des EEG sowohl für die Projektierer als auch für die Genehmigungsbehörden ein sichtbares Zeichen sind, die PV-Freiflächenanlagen auch als Flächen für den Natur- und Artenschutz zu verstehen. Dies ist ein Fortschritt, insbesondere weil diese Standards auch für größere Anlagen und auf einer erweiterten Flächenkulisse greifen werden.

Die Erweiterung der Flächenkulisse birgt Risiken für den Natur- und Landschaftsschutz.

Diese Erweiterung birgt jedoch auch das Risiko der technischen Überprägung größerer Flächen als bisher. Durch weiträumigere Solarparks oder auch mehr kleine Anlagen in einer Region entstehen in einem Landschaftsraum möglicherweise neue, kumulative Effekte, die über die Wirkungen bisheriger, einzelner Projekte hinausgehen. Denkbar ist, dass einzelne Offenlandarten die Modulfelder meiden und aufgrund von zwischen den Kommunen nicht abgestimmten Planungen in der Region dann zu wenig Ausweichflächen für Brut oder Nahrungssuche zur Verfügung stehen. Es bleibt zu beobachten, mit welchen Festlegungen die Opt-Out-Regelung durch die Bundesländer ausgestaltet wird, und in welchem Ausmaß nun auch Landschaftsschutzgebiete und Naturparke in Nutzung genommen werden.

Die Mindestkriterien nutzen das Potenzial für mehr Biodiversität noch nicht aus.

Dass ein Nachweis über die Umsetzung der Kriterien erbracht werden muss, ist grundsätzlich positiv hervorzuheben, da er die Kontrolle und ein Monitoring der Naturschutzmaßnahmen ermöglicht. Aber für die EEG-Förderfähigkeit müssen nur drei der fünf Kriterien tatsächlich erfüllt werden. Je nach „Auswahl“ ist es so möglich, dass nur eine sehr geringe oder sogar keine ökologische Aufwertung der Fläche stattfindet.

Die Mindestkriterien, wo möglich, noch erweitern.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es im Gesetzestext im Interesse des Naturschutzes noch Erweiterungsbedarf gibt. Kriterium 5 beispielsweise wird ohnehin in jedem Solarpark eingehalten werden, da der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln dort nicht notwendig und die Verwendung chemischer Reinigungsmittel in der freien Landschaft durch Umweltrecht reguliert ist. Eine Erweiterung dieses Kriteriums etwa um Maßnahmen zum Bodenschutz während des Baus und Rückbaus der Anlagen, wäre eine notwendige Ergänzung.

Neue Rechtsbegriffe praxistauglich präzisieren.

Mit den Mindestkriterien werden neue, unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt. So ist beispielsweise noch nicht geklärt, was ein ‚biodiversitätsförderndes Pflegekonzept‘ beinhalten sollte. Wünschenswert wären hier beispielsweise Konkretisierungen zur Mahdhöhe, zum Mahdzeitpunkt oder zum Belassen von Altgrasbeständen. Gleiches gilt für fehlende Festlegungen zur Ausgestaltung von Wanderkorridoren oder Zäunen. Bestehende Leitfäden der Länder oder Positionspapiere der Naturschutzorganisationen bieten hier bereits detaillierte Vorschläge.

Der BMWK-Leitfaden sollte die Umsetzung ökologisch wertvoller Solarparks stärken.

Eine große Chance zur Verbesserung der Wirkmächtigkeit des novellierten EEG in Hinblick auf die Naturverträglichkeit bietet die Ausgestaltung des angekündigten BMWK-Leitfadens. In diesem Dokument sollten Erfahrungen und bewährte Regelungen der Bundesländer Berücksichtigung finden, um einerseits die aus naturschutzfachlicher Sicht notwendigen Ziele besser zu erreichen und andererseits eine praxistaugliche Umsetzung der EEG-Regelungen zu ermöglichen. Doppelte Planungen und Nachweispflichten für die Projektierer gegenüber Netzbetreibern und Genehmigungsbehörden sollten vermieden werden.

Kommunen müssen weiterhin ihre Verantwortung für naturverträgliche Solarparks wahrnehmen.

Die Neuregelungen in ihrer bisherigen Ausgestaltung werden nicht per se dazu führen, eine gute Naturverträglichkeit aller PV-Freiflächenanlagen sicherzustellen. Den Kommunen verbleibt weiterhin die wichtige Aufgabe, im Rahmen der Bauleitplanung die vorhandenen Instrumente zur naturverträglichen Gestaltung und Pflege von Solarparks zu nutzen. Dies gilt auch und insbesondere für die zunehmende Zahl von Anlagen, die ohne EEG-Förderung errichtet werden und daher nicht an die Förderkulisse und die Mindestkriterien gebunden sind.

[1] Siehe § 37c EEG.
[2] Siehe § 37 Abs. 1 Nr. 2 lit. h und i EEG.
[3] Siehe § 37a Abs. 4 EEG.
[4] Siehe § 37 Abs. 3 EEG.
[5] EE-Statistik MaStR – Februar 2024 (Stand 19.03.2024).xlsx (bundesnetzagentur.de).
[6] § 37 Abs. 1a EEG.
[7] Siehe § 52 Abs. 1 Nr. 9a EEG.
[8] Siehe § 85 Abs. 2 Nr. 6 EEG.
[9] Siehe BT-Drs. 20/11180 v. 24.04.2024, S. 135.
[10] Siehe BT Drs. 20/11180 v. 24.04.2024, S. 134.
[11] Siehe Bundesnaturschutzgesetz § 40.

Zulässigkeit nachträglicher artenschutzrechtlicher Beschränkungen des Betriebs von Windenergieanlagen

Zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dez. 2023 (BVerwG 7 C 4.22)

In seinem Urteil (BVerwG 7 C 4.22) vom 19. Dezember 2023 hat das Bundesverwaltungsgericht die seit Längerem strittige Frage höchstrichterlich entschieden, wie mit nachträglich festgestellten Verstößen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot bei bestandskräftig genehmigten Windenergieanlagen umzugehen ist. Seit dem 26. März 2024 liegt nun auch die Begründung zu dem vielbeachteten Urteil vor. 

Geklärt ist nun:
Naturschutzbehörden sind grundsätzlich befugt, nachträgliche Anordnungen zu treffen, die die Einhaltung dieses Verbots sicherstellen, etwa, wenn nach der Genehmigung das Vorkommen einer geschützten Art im Umfeld der Anlage festgestellt wird.

Dies nimmt das KNE zum Anlass, das Urteil und seine Begründung einzuordnen und die absehbaren Konsequenzen für die Praxis der naturverträglichen Energiewende zu erläutern.

In der Wortmeldung geht das KNE folgenden Fragen nach: Was war Anlass für die gerichtliche Entscheidung? Was hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden? Wie haben die Gerichte ihre Entscheidungen begründet? Was bedeutet das Urteil für den behördlichen Naturschutz? Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?

Fledermäuse und naturverträglicher Ausbau der Windenergie

Die Bundesregierung will laut Eckpunktepapier des Bundesumweltministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums den Ausbau der Windenergie beschleunigen und dabei „hohe Standards für den Artenschutz“ bewahren. Die Eckpunkte zu den artenschutzrechtlichen Regelungen beziehen sich vornehmlich auf den zukünftigen Umgang mit als kollisionsgefährdet geltenden Brutvogelarten. Doch was ist mit den Fledermäusen, die zum Teil ebenfalls von Kollisionen betroffen sein können? Warum sind sie sowohl bei der ‚Signifikanzprüfung‘ als auch bei der ‚Ausnahme‘ bisher nicht erkennbar berücksichtigt? Sollte diese Artengruppe bei der rechtlichen Umsetzung des Eckpunktepapiers nicht ebenfalls beachtet werden? Das KNE unternimmt eine erste Einordnung anhand der Kerninhalte des Eckpunktepapiers, die den Fledermausschutz an Windenergieanlagen (WEA) betreffen.

1. Standardisierung der Signifikanzprüfung

Laut Eckpunktepapier (S. 2 f.) sollen für die Signifikanzprüfung von Tötungs- und Verletzungsrisiken kollisionsgefährdeter Vogelarten zukünftig gesetzliche Standards gelten. Die neuen Regelungen sollen abschließend sein und den Ländern keine Abweichungen ermöglichen. Beim „Umgang mit Fledermäusen“ jedoch sollen die Länder „ihre individuellen Vorgehensweisen beibehalten“ können.

Einordnung

Dies würde bedeuten, dass die jeweiligen Vorgaben zum Fledermausschutz in den Artenschutzleitfäden der Länder zur Windenergie ihre Gültigkeit behalten. Ähnlich wie bei Vögeln gibt es dort bei den Fledermäusen Unterschiede beim Umgang mit dem Tötungsverbot. Ein wesentlicher Unterschied liegt in unterschiedlich hohen Fledermaus-Signifikanzschwellen in der Betriebsphase der Anlagen. Sie liegen – so sie denn definiert sind – gegenwärtig bei kleiner 0,5, 1 oder 2 Schlagopfern pro Windenenergieanlage und Jahr, in der Regel nicht artspezifisch, sondern über alle Fledermausarten hinweg. Aus Sicht des KNE spricht viel dafür, auch hier eine fachlich und rechtlich begründete bundesweite Vereinheitlichung vorzunehmen.[1] In diesem Zusammenhang müssten gegebenenfalls auch die geltenden Anlaufwindgeschwindigkeiten von vorsorglichen „pauschalen“ Abschaltungen angepasst werden.

2. Perspektive temporärer Abschaltungen

Sowohl für Vögel als auch für Fledermäuse sind Abschaltungen während Phasen hoher Aktivität geeignete und wirksame Schutzmaßnahmen. Für Fledermäuse sind sie nachweislich die wirksamste Maßnahme zur Reduzierung von Schlagopferzahlen und mittlerweile eine artenschutzrechtliche „Standardmaßnahme“.

Nach dem Eckpunktepapier (S. 3) sollen die temporären Abschaltungen für Vögel und Fledermäuse zukünftig aber einer Zumutbarkeitsprüfung unterliegen. Überschreiten die Verluste zusammengenommen sechs Prozent der jährlichen Erzeugung bzw. an besonders windhöffigen Standorten bis zu acht Prozent des jährlichen Ertrags, ist die Zumutbarkeitsgrenze erreicht. (ebd.)

Einordnung

Aus Sicht des KNE könnte die geplante Zumutbarkeitsgrenze an Standorten mit hoher saisonaler Aktivität kumulativ recht schnell erreicht bzw. überschritten werden und damit der Weg in die Ausnahme (siehe unten) vorgezeichnet sein.

In einer Betreiber-Umfrage der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind 2020) schätzten bzw. berechneten die Betreiber rückwirkend, dass bei immerhin rund 20 Prozent der Vorhaben allein die (zumeist pauschalen) Fledermausabschaltungen im Jahr der Inbetriebnahme zu Einbußen größer als sechs Prozent führten (30 Prozent der Vorhaben mit Einbußen über vier Prozent) (eigene Berechnung auf Grundlage von FA Wind 2020, S. 21).

Eine perspektivisch mögliche Absenkung von zulässigen Schlagopferschwellenwerten, würde den Anteil an Vorhaben, die die Zumutbarkeitsgrenze allein aus Gründen des Fledermausschutzes überschreiten, weiter erhöhen.

Zweijährige Gondelmonitorings der Fledermausaktivität und eine auf den Ergebnissen basierende standortspezifische Optimierung der Abschaltzeiten sind in fast allen Länderleitfäden explizit ermöglicht bzw. sogar vorgegeben. Sie werden heute somit bei den meisten Vorhaben durchgeführt. Nach Betreiberangaben führten Gondelmonitorings bei zwei Drittel der Vorhaben zu verringerten Ertragseinbußen, bei einem Drittel vergrößerten sie sich aber auch (FA Wind 2020, S. 37). In einigen Fällen entfielen die Abschaltzeiten sogar komplett. Der Anteil an Vorhaben mit Einbußen größer als sechs Prozent lag nur noch bei rund fünf Prozent der Vorhaben (eigene Berechnung).[2] Auf Waldstandorten und ebenso süddeutschen sowie Mittelgebirgs-Standorten lagen die Einbußen eher im höheren Bereich. (FA Wind 2020, S. 37)

Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstandes, dass bisher alle bekannten Zahlen zu Ertragseinbußen lediglich rückwirkend ermittelt wurden, ist aus Sicht des KNEs fraglich, wie (und durch wen) zukünftig bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung überhaupt eine Prognose von vorhabenspezifischen Ertragseinbußen durch Fledermausabschaltungen erfolgen könnte. Eine verlässliche Prognose ist angesichts der Veränderungen, die sich durch die mittlerweile standardmäßig durchgeführten Gondelmonitorings in den ersten Betriebsjahren und in Folge standortspezifisch „maßgeschneiderter“ Abschaltalgorithmen ergeben, kaum möglich.

3. Artenschutzrechtliche Ausnahmen für Fledermäuse

Wird die Zumutbarkeitsschwelle überschritten, soll laut Eckpunktepapier zukünftig in die artenschutzrechtliche Ausnahmeprüfung eingestiegen werden. Im Rahmen der Ausnahmeerteilung sollen die Abschaltzeiten durch die Vorgabe einer maximalen Stundenzahl begrenzt werden. (Eckpunktepapier, S. 3)

Bei der Prüfung der artenschutzrechtlichen Ausnahme rücken der „Zustand der Population“ der Art bzw. „Bestandstrends“ in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ohne dies konkret auf Fledermäuse zu beziehen, weist das Eckpunktepapier auf die – bereits jetzt schon geltende – Ausnahmevoraussetzung hin, dass sich der „bundesweite Erhaltungszustand [von Arten] nicht verschlechtert“ bzw. der „Zustand von Populationen einen positiven Trend“ aufweisen müsse. (ebd., S. 4)

Einordnung

Eine Deckelung von Abschaltzeiten würde erwarten lassen, dass es zu insgesamt kürzeren Abschaltzeiten als bisher kommt. Doch kommt für Fledermäuse eine artenschutzrechtliche Ausnahme überhaupt in Frage?

Der Populationsbezug bei Fledermäusen ist nach KNE-Einschätzung schwer handhabbar. Eine Herausforderung stellt die Ermittlung bzw. Abgrenzung von Fledermaus-Populationen dar. Der Populationsbegriff und die räumliche Abgrenzung müssten zunächst klarer definiert werden. Eine jeweils vorhabenbezogene Ermittlung von Populationen wäre gegenüber den bislang durchzuführenden Erfassungen im Zuge von Genehmigungsverfahren mit einem enormen gutachterlichen Mehraufwand verbunden. Für die besonders kollisionsgefährdeten Fledermausarten gibt es zudem bislang kein umfassendes Populationsmonitoring, wodurch eine Überprüfung und Gewährleistung einer günstigen Populationsentwicklung derzeit praktisch kaum möglich ist.

Zudem sind nicht nur Individuen lokaler Populationen von Kollisionen mit Windenergieanlagen betroffen. Viele Kollisionen ereignen sich während der Migrationszeit(en) bei der Wanderung zwischen Sommer- und Winterlebensräumen. Bei einigen Arten liegen diese Räume bis zu mehrere hundert Kilometer auseinander. Aber selbst bei Arten mit kürzeren Zugstrecken ist die Populationszugehörigkeit häufig unklar.

All dies dürfte artenschutzrechtliche Ausnahmen für Fledermäuse zumindest deutlich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. In der Konsequenz wäre zu klären, ob nicht Abschaltungen für Fledermäuse gegenüber solchen für kollisionsgefährdete Vögel Vorrang haben sollten.

Betrachtet werden muss auch, ob Windenergie-Vorhaben überhaupt noch genehmigungsfähig wären, wenn die Zumutbarkeitsschwelle bereits durch die Fledermausabschaltungen überschritten würde, eine Ausnahme aber nicht erteilt werden kann.

4. Artenhilfsprogramme für Fledermäuse

Im Eckpunktepapier (S. 4) ist die Einzahlung der Vorhabenträger in ein Artenhilfsprogramm als „weitere Voraussetzung“ für die Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen aufgeführt.

Die Kosten, die Vorhabenträger für (begrenzte) „abschaltungsbezogene Vermeidungsmaßnahmen“ aufwenden, „können bei den erforderlichen Zahlungen in die Artenhilfsprogramme angerechnet werden“. (ebd., S. 3)

Einordnung

Das geplante Artenhilfsprogramm soll der Stützung der vom Windenergieausbau betroffenen Arten dienen und damit in erster Linie der „Kompensation“ für die im Rahmen der Ausnahme „in Kauf genommenen“ Kollisionsrisiken oberhalb der Signifikanzgrenze. Dass sich bereits vermiedene Kollisionsrisiken auf die Zahlungen entsprechend vermindernd auswirken sollen, ist naheliegend. Die generellen Herausforderungen bei der Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen für Fledermäuse wurden bereits dargelegt.

Abgesehen von der Kopplung an die konkrete Genehmigung von Windenergieanlagen im Wege der Ausnahme können Artenhilfsprogramme aus Sicht des KNE für einen Teil der als windenergiesensibel geltenden Fledermausarten – und für Fledermäuse allgemein – durchaus dazu beitragen, Vorkommen und Lebensstätten bzw. besonders wertvolle Lebensräume zu identifizieren und zu schützen sowie für Fledermäuse geeignete Habitate aufzuwerten. Entsprechende Aktivitäten im Kontext des Windenergieausbaus gibt es für einzelne Arten bereits in Hessen. Konzeptionelle Grundlagen für ein Artenschutz- bzw. Artenhilfsprogramm wurden unlängst für Baden-Württemberg erarbeitet. In mehreren Ländern gibt es darüber hinaus weitere, zum Teil langjährige, jedoch nicht spezifisch auf die windenergiesensiblen Arten ausgerichtete Programme. (vgl. KNE 2022)

Aus KNE-Sicht können Artenhilfsprogramme für Fledermäuse Summationswirkungen eines verstärkten Windenergieausbaus sowie einer verstärkten Inanspruchnahme von insbesondere Waldlebensräumen durch Windenergievorhaben und dadurch insgesamt nicht auszuschließenden negativen Effekten auf Fledermauspopulationen entgegenwirken. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der größte Teil der Maßnahmen erst langfristig positiv wirkt und eine kurzfristige Bestandsstützung, zum Beispiel durch eine Erhöhung des Fortpflanzungserfolgs nicht erwartet werden kann. Letzteres gilt insbesondere auch für die während des Zuges von Kollisionen betroffenen Arten (z. B. Großer Abendsegler und Rauhautfledermaus), die entsprechend nicht lokalen Populationen zuordenbar sind.

Für den Schutz und langfristigen Erhalt von Populationen kollisionsgefährdeter Fledermausarten sollte die Vermeidung von Kollisionen durch betriebsoptimierte Abschaltungen gegenüber Artenhilfsprogrammen und Artenhilfsmaßnahmen auch zukünftig das Mittel der ersten Wahl sein.

5. Nachträgliche Anordnungen von Maßnahmen

Nachträgliche Anordnungen sollen laut dem Eckpunktepapier (S. 5) nur in Ausnahmefällen und ebenfalls nur bis zur Grenze der wirtschaftlichen Zumutbarkeit möglich sein. Nisthilfen für windenergiesensible Vogel- und Fledermausarten [d. h. zum Beispiel Fledermauskästen] sollen im Nahbereich um bestehende Windenergieanlagen sowie auf regional- und bauleitplanerisch für die Windenergie ausgewiesenen Flächen unzulässig sein.

Einordung

Aus KNE-Sicht ist es zweckmäßig, dass Fledermauskästen, ähnlich wie andere Kompensations- und Aufwertungsmaßnahmen, von denen eine Anlockwirkung auf kollisionsgefährdete Arten ausgehen kann, nicht im Nahbereich von WEA oder auf zukünftigen Vorrangflächen für die Windenergie umgesetzt werden sollen.

Es sollte jedoch geprüft werden, ob bislang ohne Abschaltungen zum Fledermausschutz laufende Bestandsanlagen noch nachträglich mit Abschaltzeiten ausgestattet werden könnten – zumindest solche, die besonders hohe Kollisionsrisiken aufweisen und noch längere Laufzeiten haben. Im Vergleich zu Artenhilfsmaßnahmen mit eingeschränkter Wirkung für die kollisionsgefährdeten Arten würde die Kollisionsvermeidung einen deutlich effektiveren Fledermausschutz bieten und aus Sicht des KNEs „low hanging fruits“ darstellen.

[1] Das BfN fördert aktuell ein Forschungsvorhaben zur wissenschaftlichen Schwellenwert-Herleitung und einer entsprechenden Konventionsbildung.

[2] In der Umfrage wurden Vorhaben berücksichtigt, die zwischen 2006 und 2018 in Betrieb gingen, die meisten (72 %) in den Jahren 2015 bis 2017. Das in der Praxis zur Berechnung von Fledermaus-Abschaltzeiten häufig angewendete Tool ProBat führt in den jüngeren Programm-Versionen (seit 2019 und Version 6.2) zu durchschnittlich etwas höheren Ertragsminderungen. Eine Betrachtung jüngerer Vorhaben dürfte zu entsprechend veränderten Zahlen und Verhältnissen führen.

Über das KNE

Das 2016 gegründete Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) ist eine von der Umweltstiftung Michael Otto getragene und vom Bundesumweltministerium finanzierte Einrichtung. Zweck der gemeinnützigen GmbH ist die Unterstützung einer naturverträglichen Energiewende vor Ort. Das KNE bietet Beratung und umfangreiche Fachinformationen an, es organisiert Dialog und Austausch, und vermittelt, wenn es beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu Konflikten kommt, speziell ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren.

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Zum Grundsatz des „überragenden öffentlichen Interesses und der öffentlichen Sicherheit“

„Herzstück“ des Energiesofortmaßnahmenpakets des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) – so das BMWK in seiner Zusammenfassung der Kerninhalte des Pakets – ist die Verankerung des Grundsatzes, dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) soll einen neuen § 2 erhalten, mit der Überschrift „Besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien“, sein Inhalt soll lauten:

„Die Errichtung und der Betrieb von Anlagen sowie den dazugehörigen Nebenanlagen liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. Satz 2 gilt nicht gegenüber Belangen der Landes- und Bündnisverteidigung.“

Eine Regelung zum Vorrang von Anlagen erneuerbarer Energien aufgrund des öffentlichen Interesses und der öffentlichen Sicherheit war bereits im Entwurf für die EEG-Novelle 2021 vorgesehen gewesen, wurde aber in den parlamentarischen Beratungen wieder gestrichen.

§ 2 EEG soll, laut dem Gesetzesentwurf, bereits mit der Verkündung des Gesetzes, und nicht erst nach der beihilferechtlichen Notifizierung (Genehmigung) des Gesetzes durch die EU-Kommission in Kraft treten. Hieran wird deutlich, dass die Bundesregierung dem neuen Grundsatz ein beachtliches Beschleunigungspotenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien beimisst. Der Paragraf selbst ist kompakt gehalten, die für seine Anwendung wesentlichen Erläuterungen finden sich in der Gesetzesbegründung.

Wen betrifft die Einführung dieses Grundsatzes?

Die Regelung hat nach KNE-Einschätzung zunächst klarstellenden Charakter. Zumeist werden Anlagen der erneuerbaren Energien von Unternehmen errichtet und dienen damit privatnützigen Interessen (Gewinnerzielungsabsicht). Gleichzeitig tragen sie aber zur Erreichung der energiepolitischen Ziele der Bundesregierung sowie der Klimaschutzziele Deutschlands und der Europäischen Union bei, dienen insofern auch einem übergeordneten öffentlichen Interesse. Der neue § 2 bekräftigt daher, dass die nachhaltige Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien einem überragenden öffentlichen Interesse dient.

Aus dem überragenden öffentlichen Interesse und dem Umstand, dass die Anlagen der erneuerbaren Energien der öffentlichen Sicherheit dienen, werden sodann rechtliche Implikationen abgeleitet. Staatliche Behörden haben dieses überragende öffentliche Interesse bei der Abwägung mit anderen Rechtsgütern zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass die Norm überhaupt nur dort Bedeutung erlangt, wo eine behördliche Abwägung durchzuführen ist. Laut der Gesetzesbegründung soll sie insbesondere bei der Windenergie an Land greifen, da hier aufgrund knapper Flächen die Ausbauziele nicht erreicht werden – mithin soll die Regelung der Windenergie zu mehr Flächen verhelfen.

Die Regelung ist zeitlich begrenzt. Sie räumt dem Ausbau der erneuerbaren Energien, bis die Stromerzeugung nahezu treibhausgasneutral gelingt, in behördlichen Schutzgüterabwägungen einen Vorrang ein.

Welche Abwägungsentscheidungen sind vom Grundsatz betroffen?

Als Abwägungsentscheidungen werden in der Gesetzesbegründung beispielhaft genannt die Belange

  • von seismologischen Stationen,
  • Radaranlagen,
  • Wasserschutzgebieten,
  • des Landschaftsbildes,
  • Denkmalschutzes,
  • Forstrechts,
  • Immissionsschutzrechts,
  • Naturschutzrechts,
  • Baurechts und
  • Straßenrechts.

Damit zielt die Regelung darauf ab, in den Abwägungsentscheidungen aus anderen Rechtsbereichen, deren Ausdifferenzierung in den jeweiligen Fachgesetzen aufzufinden ist, eine grundsätzliche Priorisierung zugunsten der erneuerbaren Energien zu erreichen.

Wie stark ist die rechtliche Wirkung des Grundsatzes?

Hier ist zunächst die Frage zu beantworten, inwieweit das EEG überhaupt in gleichrangige Gesetze „hineinregeln“ kann, beziehungsweise inwieweit die Abwägungsregelungen der Fachgesetze als „speziellere Norm“ (lex-specialis-Grundsatz) den Regelungen des EEG vorgehen.

Könnte der neue § 2 EEG eventuell ins Leere laufen?

Ausgehend von der skizzierten Normenhierarchie kann die bloß „einseitige“ Festlegung im EEG nach KNE-Auffassung die Abwägungsentscheidungen in anderen Fachgesetzen nicht abschließend beeinflussen. Ändern würde sich jedoch das Gewicht des abzuwägenden Arguments. Letztlich wird aus rechtlicher Sicht auch hier abzuwarten sein, wie die Gerichte die Regelung auslegen.

Will der Gesetzgeber dieser rechtlichen Unsicherheit entgehen oder zumindest entgegenwirken, müsste der Vorrang der erneuerbaren Energien auch in den jeweiligen Fachgesetzen oder auf höherrangiger gesetzlicher Ebene entsprechend verankert werden.

Zudem: Für jene Abwägungsregelungen, die auf europäischem Recht fußen, bleiben die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes maßgeblich. Eine nationale Regelung vermag europarechtliche Vorgaben nicht zu überwinden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die EU-Vogelschutzrichtlinie relevant, die gar keine Abwägungsentscheidung aufgrund überragenden öffentlichen Interesses vorsieht. Für die Vogelschutzrichtlinie fehlt damit ein substanzieller Anknüpfungspunkt, um eine Abwägung zugunsten der erneuerbaren Energien aufgrund eines überragenden öffentlichen Interesses vorzunehmen.

Andererseits bietet die Vogelschutzrichtlinie aber die Möglichkeit der Abwägung der Belange des Vogelschutzes mit dem „Interesse der öffentlichen Sicherheit“. Hierzu liegt bereits eine KNE-Einordnung vor: Dienen Windräder der öffentlichen Sicherheit? Eine europarechtliche Einordnung – Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende. Das Interesse der öffentlichen Sicherheit hat aufgrund der sicherheitsrelevanten Bedeutung der Energieversorgungssouveränität enorm an Gewicht gewonnen.

Welche Auswirkungen hat der Grundsatz auf das besondere Artenschutzrecht?

Im Hinblick auf das besondere Artenschutzrecht ist die neue Regelung im EEG in zweifacher Hinsicht zu betrachten. Zunächst ist festzuhalten, dass im Bereich des vorhabenbezogenen Artenschutzes eine Abwägung nur in Betracht kommt, wenn eine Ausnahme von einem artenschutzrechtlichen Verbot erteilt wird.

Verbotsebene

Die „Verbotsebene“ indes lässt keinen Raum für eine Abwägung, das heißt, die artenschutzrechtlichen Verbote können nicht mit Verweis auf ein übergeordnetes öffentliches Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien oder auf das Interesse der öffentlichen Sicherheit überwunden werden. Dies haben wir in einer früheren KNE-Wortmeldung bereits ausgeführt: Wird die Ausnahme jetzt zur Regel? Was bedeutet es, wenn erneuerbare Energien im Interesse der öffentlichen Sicherheit liegen?

Ausnahmeebene

Die Ausnahme wiederum ist an verschiedene Voraussetzungen (Ausnahmegrund, Alternativenprüfung und Nichtverschlechterung des Erhaltungszustandes) gebunden, die kumulativ vorliegen müssen. Der Vorrang der erneuerbaren Energien allein kann nicht genügen, um die rechtlichen Anforderungen an die Erteilung einer Ausnahme zu erfüllen.

Zudem: In der Gesetzesbegründung ist – wenn auch etwas verklausuliert – festgehalten, dass andere Schutzgüter sich durchaus gegenüber den erneuerbaren Energien durchsetzen können und hier gerade kein absoluter Automatismus für einen Vorrang der erneuerbaren Energien geregelt wurde. Die relevante Passage lautet:

„Konkret sollen die erneuerbaren Energien damit im Rahmen von Abwägungsentscheidungen u. a. gegenüber seismologischen Stationen, Radaranlagen, Wasserschutzgebieten, dem Landschaftsbild, Denkmalschutz oder im Forst-, Immissionsschutz-, Naturschutz-, Bau- oder Straßenrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden.“

Die Neuregelung des § 2 EEG kommt damit einer widerlegbaren Regelvermutung gleich. In dem Sinne, dass die erneuerbaren Energien grundsätzlich in der Abwägung überwiegen sollen, hiergegen aber auch Gründe angeführt werden können, die zu einem Unterliegen der erneuerbaren Energien in der Abwägung führen können.

Ein denkbarer Fall, im Hinblick auf den Artenschutz, wäre die Betroffenheit von Exemplaren besonders geschützter und besonders seltener Arten, deren Verlust bereits populationsgefährdende Wirkung haben könnte. In einem solchen Fall würde das Schutzgut Artenschutz in der Abwägung stark zu gewichten sein und sich gegenüber dem öffentlichen Interesse am Ausbau der erneuerbaren Energien durchsetzen können. Ein entsprechender Nachweis über die außergewöhnliche Betroffenheit müsste allerdings – aufgrund der rechtlichen Konstruktion als Regelvermutung – für den Artenschutz erbracht werden.

Wie wirkt sich der Grundsatz auf baurechtliche Vorschriften aus?

Ausweislich der Gesetzesbegründung soll der geplante § 2 EEG auch bei der Außenbereichsprivilegierung eine zentrale Rolle spielen. Es heißt dort:

„Besonders im planungsrechtlichen Außenbereich, wenn keine Ausschlussplanung erfolgt ist, muss dem Vorrang der erneuerbaren Energien bei der Schutzgüterabwägung Rechnung getragen werden. Öffentliche Interessen können in diesem Fall den erneuerbaren Energien als wesentlicher Teil des Klimaschutzgebotes nur dann entgegenstehen, wenn sie mit einem dem Artikel 20a GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang gesetzlich verankert bzw. gesetzlich geschützt sind oder einen gleichwertigen Rang besitzen.“

Die Windenergie soll sich hiernach im Außenbereich gerade dann durchsetzen, wenn keine Ausschlussplanung erfolgt ist, sprich, wenn keine Flächen für die Windenergie ausgewiesen und gleichzeitig andere Flächen von der Windenergie freigehalten wurden. Zusätzlich zur Privilegierung im Außenbereich soll die Windenergie in einem solchen Fall auch in der baurechtlichen Abwägung etwaige entgegenstehende öffentliche Belange grundsätzlich überwinden. Eine Ausnahme gilt allerdings für diejenigen Belange, die verfassungsrechtlichen Rang haben bzw. gesetzlich geschützt sind. Der Erhalt der biologischen Vielfalt und die Sicherung eines artgerechten Lebens bedrohter Tier- und Pflanzenarten fallen unter den Begriff der natürlichen Lebensgrundlagen, die durch Art. 20a Grundgesetz geschützt werden und können daher als Schutzgüter mit Verfassungsrang der Privilegierung im Außenbereich auch weiterhin entgegenstehen.

Eine privilegierte Zulassung von Windenergieanlagen im Außenbereich, die durch einen Vorrang der erneuerbaren Energien in der Schutzgüterabwägung zusätzlich verstärkt würde, könnte zu einer Diffusion der Anlagen über größere Bereiche führen. Eine solche Streuung würde mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch zu einer Steigerung der artenschutzrechtlichen Konflikte führen.

Aus Sicht des Artenschutzes wird eine Bündelung von Windenergieanlagen an möglichst konfliktarmen Standorten daher stets zu favorisieren sein. Innerhalb von Vorranggebieten für Windenergieanlagen ist die Abwägungspriorisierung des geplanten § 2 EEG daher auch aus Sicht des Natur- und Artenschutzes eher zu vertreten als im unbeplanten Außenbereich.

Fazit

Aus Artenschutzsicht ist die neue Regelung – gerade auch im Kontext der aktuellen energiepolitischen Herausforderungen – nicht zu beanstanden.

Die Regelung bezieht sich auf eine Vielzahl von Abwägungsentscheidungen aus unterschiedlichen Rechtsbereichen und nimmt damit auch verschiedenste Belange in den Blick. Auf diese Weise können auch die anderen, in der Gesetzesbegründung beispielhaft aufgezählten Belange durch den Vorrang der erneuerbaren Energien überwunden werden und so weitere Flächen, insbesondere für den Windenergieausbau, erschlossen werden. Hierdurch kann der Flächendruck insgesamt vermindert werden, damit auch der Druck auf artenschutzrechtlich konfliktträchtige Flächen.

Wichtig bleibt: Gewichtige Belange des Artenschutzes müssen sich auch weiterhin in der Schutzgüterabwägung durchsetzen können. Denn nur so können beide Krisen – Klima- und Biodiversitätskrise – gelöst werden.

Über das KNE

Das 2016 gegründete Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) ist eine von der Umweltstiftung Michael Otto getragene und vom Bundesumweltministerium finanzierte Einrichtung. Zweck der gemeinnützigen GmbH ist die Unterstützung einer naturverträglichen Energiewende vor Ort. Das KNE bietet Beratung und umfangreiche Fachinformationen an, es organisiert Dialog und Austausch, und vermittelt, wenn es beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu Konflikten kommt, speziell ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren.

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Rotmilan und Windenergie – Wo ist das Problem?

Ausgehend vom ZDF frontal-Beitrag „Rotmilan gegen Windkraft“ wurde dessen Kernaussage in einigen Fällen dahingehend kommentiert, dass Schutzmaßnahmen und Abschaltungen von Windenergieanlagen (WEA) für Rotmilane nicht mehr nötig seien. Doch wenn WEA als Todesursache nicht an erster Stelle stünden – hieße dies, dass das Kollisionsrisiko im Genehmigungsfall nicht mehr zu prüfen und auch Schutzmaßnahmen nicht erforderlich wären? Unsere Einordnung aus fachlicher und aus juristischer Sicht stellt klar, wo wir die Grenzen legitimer Ergebnisinterpretation ziehen, und welche Schlussfolgerungen bezüglich des Umgangs mit dem Rotmilan in Genehmigungsvorhaben (nicht) gezogen werden sollten.

Fachliche Einordnung

  • Das EUROKITE-Projekt nimmt verschiedene Todesursachen für Rotmilane in den Blick. Es wird deutlich, dass neben Tod durch Kollision (Verkehr, Freileitungen, Windenergie) auch absichtliche Tötungen (Vergiftung) und Prädation häufige Mortalitätsursachen sind. Das Projekt läuft noch bis 2027. Es soll wesentliche Erkenntnisse dazu liefern, durch welche Faktoren der Erhaltungszustand im Gesamtlebensraum beeinflusst wird.
  • Die in der ZDF-Sendung berichteten Zwischenergebnisse sind bisher nicht wissenschaftlich nachprüfbar veröffentlicht. Bevor daher Schlussfolgerungen über die hauptsächlichen Todesursachen des Rotmilans und damit für den Umgang derselben in Genehmigungsverfahren gezogen werden können, bedarf es einer Überprüfung und wissenschaftlicher Einordnung der Ergebnisse.
  • Das Projekt EUROKITE weist in seiner Pressemitteilung selbst darauf hin, dass die Ergebnisse zu den Todesursachen des Rotmilans nicht per se auf Deutschland übertragbar sind, da die Todesursachen in Europa ungleichmäßig verteilt seien. Zielführend wäre es, die Ergebnisse der Analyse von Todesursachen zu regionalisieren, denn es ist zu vermuten, dass die Häufigkeit der Todesursachen in den Sommer- und Winterverbreitungsgebieten variiert. Der europäische Durchschnitt verzerrt unter Umständen die Darstellung der Todesursachen. Zudem sind brütende Altvögel in der EUROKITE-Untersuchung derzeit noch unterrepräsentiert, da die meisten Rotmilane als Jungtiere im Nest besendert wurden. All diese Faktoren können in Zukunft zu Verschiebungen bei der Häufigkeit der Todesursachen führen, wie EUROKITE in Punkt 12 seiner Pressemitteilung betont.
  • Der Rotmilanbestand unterliegt mehreren Mortalitätsfaktoren, diese können auch kumulativ wirken. Für den guten Erhaltungszustand des Rotmilans kommt es darauf an, alle Gefährdungsfaktoren gleichermaßen zu minimieren, zumal wenn sie Verbotstatbestände erfüllen.
  • Weitere fachliche Stellungnahmen finden Sie

Rechtliche Einordnung

Sollen Windenergieanlagen zugelassen werden, ist hierfür eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich. Die Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn dieser keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Auch die Vorgaben des besonderen Artenschutzrechts sind Vorschriften in diesem Sinne.

  • Besonderes Artenschutzrecht
    Nach den Regelungen des besonderen Artenschutzrechts ist es grundsätzlich verboten, besonders geschützte Arten zu töten oder zu verletzen. Dieses Verbot ist unter anderem im Genehmigungsverfahren von WEA an Land einzuhalten. Das Verbot gilt individuenbezogen, jedes Exemplar einer Art genießt den Schutz des Gesetzes und steht daher im Fokus der Prüfung. Gleichzeitig bedeutet der Individuenbezug auch, dass sich populationsbezogene Relativierungen verbieten. Es kann also nicht argumentiert werden, ein Tötungsrisiko liege nicht vor, weil es der Population der betroffenen Art gut gehe.
    Signifikante Risikoerhöhung
    Vielmehr kommt es bei Vorhabenzulassung darauf an, ob das Risiko zu Tode zu kommen, durch Bau und Betrieb der Anlage für die betroffene Art in signifikanter Weise erhöht ist. Ausschlaggebend für die Beurteilung dieser signifikanten Risikoerhöhung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) das artspezifische Verhalten, die Frage, ob Exemplare besonders geschützter Arten häufig im Gefahrenbereich anzutreffen sind, und die Wirksamkeit etwaiger Schutzmaßnahmen zur Verringerung des Risikos. (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2011 – 9 A 12/10, Rn. 99) Der Zustand der Population spielt aus rechtlicher Perspektive bei der Frage, ob ein Vorhaben gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot verstößt, derzeit keine Rolle. Erst und nur auf Ebene der Ausnahme werden populationsbezogene Betrachtungen vorgenommen.
  • Schutzmaßnahmen
    Zur Minimierung des Kollisions- und Tötungsrisikos werden regelmäßig Schutzmaßnahmen ergriffen. Diese dienen in der Signifikanzprüfung dazu, das Risiko im Einzelfall auf ein zulässiges Maß zu senken und so zu verhindern, dass das Verbot verwirklicht wird. Die Schutzmaßnahmen werden nicht obsolet, wenn der Erhaltungszustand der betroffenen Art günstig ist, denn der Zustand der Population spielt bei der Beurteilung der Signifikanz gerade keine Rolle. Zum Schutz, während der Brut- und Aufzuchtphase, in der die Aktivität der Vögel im Bereich des Horstes besonders hoch ist, können beispielsweise Abschaltungen der Windenergieanlagen auferlegt werden. Alternativ zu diesen pauschalen Abschaltauflagen können auch Antikollisionssysteme die Windenergieanlage anlassbezogen abschalten, wenn sich ein Vogel der Anlage gefährlich nähert.
  • Einschätzung des Europäischen Gerichtshofes
    Die zentralen Vorschriften des europäischen und nationalen Rechts zum Vogelschutz nutzen den Schutz einzelner Individuen als zentrales Mittel, um den Erhalt der Art zu gewährleisten. Damit ist es beispielsweise verboten, besonders geschützte Arten zu töten oder ihre Nester und Eier zu zerstören oder zu beschädigen. Es ist ungeklärt, ob ein populationsbezogenes Vorgehen bereits bei der Prüfung des Tötungsverbotes mit dem europäischen Recht vereinbar wäre. Der Europäische Gerichtshof hat sich zumindest im Hinblick auf die Vogelschutzrichtlinie zu dieser Frage noch nicht geäußert.

Fazit

Aus dem Zwischenstand des EUROKITE-Vorhabens können keine direkten Schlussfolgerungen über die Behandlung des Rotmilans in Genehmigungen von Windenergieanlagen gezogen werden. Als europäische Vogelart ist er laut Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union geschützt. Die Frage, ob er durch WEA im konkreten Einzelfall signifikant erhöhten Tötungsrisiken ausgesetzt ist, wird durch die Zwischenergebnisse von EUROKITE nicht beantwortet. Insofern können die Erkenntnisse derzeit keine Rückwirkungen auf seine Einstufung als kollisionsempfindliche Art oder das Erfordernis von Schutzmaßnahmen haben. Diese Entscheidungen sind an anderer Stelle zu treffen.

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Zum Flächenbedarf der Windenergie

Was bedeutet „zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie“? Wie viele Anlagen sind darauf realisierbar? Welchen tatsächlichen Raumbedarf haben die Anlagen, und wie verteilen sie sich? Wie viel Fläche wird tatsächlich versiegelt und wie viel kann unverändert weiter genutzt werden?

Die neue Bundesregierung hat sich vorgenommen, zwei Prozent der Fläche Deutschlands für die Windenergienutzung planerisch zu „reservieren“ und dies gesetzlich zu verankern, ausgewiesen sind bisher 0,8 Prozent. Mit den avisierten zwei Prozent soll erreicht werden, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von jetzt 40 auf 80 Prozent im Jahr 2030 zu verdoppeln. So steht es auch im Koalitionsvertrag und in der Eröffnungsbilanz Klimaschutz von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Dazu müssen Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt mehr als 100 Gigawatt in Betrieb sein, folglich in den kommenden neun Jahren also Anlagen mit rund 70 Gigawatt Gesamtleistung an Land neu errichtet werden.

Mitunter bestehen Unklarheiten darüber, welche Faktoren die Platzierung von Windenergieanlagen auf der Fläche und die Ausnutzung dieser beeinflussen, welchen Raumbedarf die einzelne Anlage hat, und ob zwei Prozent der Fläche Deutschlands für die geplanten Ausbauziele der Windenergie ausreichen werden. Dies veranlasst uns zu einer Prüfung auf Grundlage aktueller Zahlen.

Was bedeutet „zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie“?
Wie viele Anlagen mit welcher Leistung sind dort realisierbar?

Zwei Prozent der Landesfläche Deutschlands entsprechen einem Flächenumfang von rund 715.000 Hektar. Im Vergleich mit den deutschen Siedlungs- und Verkehrsflächen, die nach der offiziellen amtlichen Flächenstatistik für das Jahr 2020 14 Prozent bzw. über fünf Millionen Hektar ausmachen, ist dies deutlich weniger. Die zwei Prozent umfassen zunächst auch nur die Flächenkulisse, in der die Windenergieanlagen (WEA) stehen sollen, nicht die durch die WEA tatsächlich in Anspruch genommene Fläche.

Wie viele WEA mit welcher Gesamtleistung auf gut 700.000 Hektar realisiert werden können, hängt grundsätzlich davon ab, wie „dicht“ die Anlagen gestellt werden können. Einerseits müssen sie einen gewissen Abstand zueinander einhalten, um Turbulenzen zu minimieren, welche eine erhöhte Materialbeanspruchung und einen höheren Verschleiß von „im Lee“ stehenden Anlagen mit sich bringen würden. Auch hersteller- und anlagentypspezifische Vorgaben zur Standsicherheit sind zu berücksichtigen. Andererseits sind die Abstände auch so zu wählen, dass Verschattungseffekte und gegenseitiger „Windklau“ minimiert werden, die zu geringeren Wirkungsgraden und damit zu Ertragseinbußen führen.

Wenngleich es Windparks mit sowohl geringeren als auch größeren Anlagenabständen gibt – in der Praxis gilt die Faustformel vom Fünffachen des Rotordurchmessers zwischen den Türmen in Hauptwindrichtung und dem Dreifachen des Rotordurchmessers in Nebenwindrichtung. Bezogen auf eine durchschnittliche 2021 in Betrieb genommene WEA mit 133 Metern Rotordurchmesser und vier Megawatt Leistung (gemäß Statusbericht Windenergie 2021 der Deutschen Windguard) ließen sich – auf einer Fläche von gut 83 Hektar – bei einer idealisierten Modellanordnung von einer WEA im Zentrum und weiteren vier WEA im rechten Winkel mit den entsprechenden Faustformelabständen zueinander (vgl. FA Wind 2019 S. 4 f.) etwa 20 Megawatt Nennleistung realisieren – pro Anlage wäre dies ein Raumbedarf von rund 16,5 Hektar.[1]

Bezogen auf die noch etwa 1,2 Prozent der Landesfläche, also rund 430.000 Hektar, die noch ausgewiesen werden sollen, ließen sich demnach darauf theoretisch zirka 100 Gigawatt Leistung installieren. Das wären 40 Prozent mehr als die 70 Gigawatt, die bis 2030 realisiert werden sollen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die reale Flächenkulisse für die Windenergie nicht aus einer einzigen zusammenhängenden Fläche besteht, sondern aus einer Vielzahl unterschiedlich großer Einzelflächen. Auch ist Landschaft nie idealtypisch, weshalb immer weitere einschränkende Faktoren hinzutreten, die einen Einfluss auf die Anlagenzahl und die real installierbare Leistung haben.

Was beeinflusst die reale Ausnutzung planerisch gesicherter Flächen für die Windenergie?

Je nach Region und vorherrschenden Windgeschwindigkeiten, nach Topografie und von Vegetationsstrukturen abhängiger „Rauigkeit“ der Landschaft kommen unterschiedliche Anlagentypen mit unterschiedlichen Generatorleistungen, Rotordurchmessern und Turmhöhen zum Einsatz. Die technologische Entwicklung geht dabei hin zu größeren Rotoren und höheren Leistungen. Neben dem Rotordurchmesser und den daraus resultierenden Abständen der Anlagen zueinander (s. o.) hat die jeweilige Flächengröße, der genaue Flächenzuschnitt sowie die Lage der Flächen im Raum – und damit zur Hauptwindrichtung – einen Einfluss auf Anzahl und Leistung der in den Flächen zu errichtenden Anlagen. Forscher und Forscherinnen, die im Auftrag des Umweltbundesamtes für die Windenergie die noch freien Zubaupotenziale auf bereits ausgewiesenen Flächen ermittelten, kamen zu dem Ergebnis, dass ein höherer Flächenbedarf pro Megawatt installierbarer Leistung auf überdurchschnittlich große Flächen zurückzuführen ist (Bons et al. 2019, S. 64). Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass auf kleineren Flächenzuschnitten letztlich mehr Leistung pro Fläche installiert werden könnte.

Der konkrete Vorhabenstandort muss auch mit Wege- und Leitungsinfrastruktur erschlossen werden. Der damit verbundene „Flächenzugriff“ muss über Verträge mit Flächeneigentümern gewährleistet sein. Auch Abstandsregelungen zur Wohnbebauung (Stichwort: „10-H-Regelung“), Bauhöhenbeschränkungen oder Anforderungen des Immissions- oder Denkmalschutzes können dazu führen, dass ausgewiesene Flächen nur teilweise nutzbar sind. Auf bestimmten Flächen kann die Errichtung von WEA auch aufgrund von Artenschutzkonflikten nicht realisiert werden.

Wie die Flächen konkret ausgenutzt werden können, ist also stark einzelfallabhängig und wird durch eine Vielzahl von Variablen beeinflusst, die zum Teil erst auf der Zulassungsebene relevant werden. Das reale Ausbaupotenzial ist somit geringer als oben berechnet. Das deckt sich auch mit Ergebnissen der Forschung (vgl. Bons et al. 2019) und der aktuellen Situation, dass laut Eröffnungsbilanz, statt der für die Windenergie ausgewiesenen 0,8 Prozent der Landesfläche, tatsächlich nur 0,5 Prozent, also zwei Drittel davon, genutzt werden können.

Die Ausnutzbarkeit planerisch gesicherter Flächen durch die Windenergie kann sowohl auf Planungs- als auch Zulassungsebene erhöht werden. Beispielsweise durch reduzierte bundeseinheitliche Mindestabstände zur Wohnbebauung und durch reduzierte Abstände zu Einrichtungen der militärischen und zivilen Flugsicherheit. Weitere Potenziale könnten erschlossen werden, wenn die Rotoren stets über die Grenzen der ausgewiesenen Flächen hinausragen dürften und lediglich die Fundamente bzw. Türme innerhalb der Flächen liegen müssten. Auch beim Artenschutz sind Regelungen möglich, die sich positiv auf die Ausnutzbarkeit von planerisch gesicherten Flächen auswirken könnten (vgl. KNE 2021).

Wie viel Fläche wird tatsächlich durch Windenergieanlagen versiegelt?

Die Windenergienutzung auf einer Fläche ist keinesfalls mit einem vollständigen Flächenverbrauch oder gar Flächenverlust gleichzusetzen. Anders als bei der Ausweisung neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen, die nach der Realisierung der Projekte größtenteils versiegelt sind oder bei Tagebauen, die ebenfalls eine langfristige, komplette Flächeninanspruchnahme mit sich bringen, ist die Inanspruchnahme durch Windenergieanlagen anderer Natur.

Sichtbar versiegelt ist bei derzeit üblichen Anlagentypen eine Sockelfläche von zirka 100 Quadratmetern als Teil des Fundamentes, auf dem der Turm steht bzw. montiert wird. Der gesamte Fundamentbereich mit dauerhafter Beeinträchtigung der Bodenfunktionen umfasst je nach Anlagentyp und Hersteller 350 bis 600 Quadratmeter. Der Bereich des Fundamentes, der über den Sockel hinausgeht, ist in der Betriebsphase größtenteils wieder mit Oberboden bzw. Schotter überdeckt. Dauerhaft teilversiegelt bleibt die ebenfalls zumeist geschotterte Kranstellfläche für die Errichtung der Anlage und für etwaige Reparaturen. Auf diese entfallen durchschnittlich zirka 0,15 Hektar pro Anlage und auf die Zuwegung durchschnittlich weitere 0,25 Hektar.[2] Wo immer möglich, wird auf bestehende Straßen und Wege zurückgegriffen, die dann nur etwas verbreitert werden müssen.

Pro WEA kann demnach von insgesamt weniger als einem halben Hektar an voll- und teilversiegelter Fläche ausgegangen werden. Bezogen auf den oben berechneten Raumbedarf von 16,5 Hektar pro Anlage macht die dauerhafte Flächeninanspruchnahme nur drei Prozent aus. Die übrigen 97 Prozent, einschließlich der nur in der Bauphase benötigten Montage- und Lagerflächen (weitere zirka 0,4 Hektar pro WEA), sind in der Betriebsphase unversiegelt.

Legt man die bis 2030 zu realisierende zusätzliche Windenergieleistung von 70 Gigawatt zugrunde und die aktuelle durchschnittliche Anlagenleistung, so ergeben sich 17.500 neue WEA mit einer (teil-)versiegelten Fläche von rund 8.000 Hektar.[3] Bezogen auf die zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels fehlenden 1,2 Prozent der deutschen Landesfläche (knapp 430.000 Hektar) wären dies sogar nur zwei Prozent an (teil-)versiegelter Fläche – demnach stünden 98 Prozent der für die Errichtung von WEA nötigen Flächenkulisse weiterhin ohne Einschränkungen für die größtenteils land- und forstwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung.

Fazit

Von den zwei Prozent der Landesfläche, die der Windenergie zur Verfügung stehen sollen, werden wiederum nur zwei Prozent real mit Anlagen überstellt. Das ist im Hinblick auf andere Nutzungen vergleichsweise wenig, und angesichts des großen Nutzens für den Klimaschutz gut vertretbar. Nur ein sehr geringer Teil der bereitgestellten Flächen wird tatsächlich versiegelt.

[1] Die Flächenform entspricht bei dieser Flächenberechnung einer Ellipse, wobei die Türme der außenstehenden Anlagen innerhalb der Fläche liegen, die Rotorblätter außen jedoch über die Fläche hinausragen.

[2] Die Fachagentur Windenergie an Land ermittelte derartige Größenordnungen für WEA-Vorhaben auf Forststandorten und kam auf eine Fläche von durchschnittlich 0,46 Hektar an dauerhaft in Anspruch genommener (Wald-)Fläche (FA Wind 2021, S. 15 f.). Aktuellen Vorhabeninformationen von Projektierern zufolge sind die Größen für Fundament- und Kranstellflächen auf Offenlandstandorten analog, selbst bei mittlerweile größeren Anlagen. Die Flächeninanspruchnahme für die Zuwegung hängt auch hier vom Vorhandensein bestehender Straßen und Wege ab, von der Landschaftsstruktur, der Schlaggröße und der Flächenverfügbarkeit – es gibt aber bislang aber keine statistisch ermittelten Durchschnittswerte. Es ist zu vermuten, dass die Werte nicht wesentlich von den Vorhaben auf Forststandorten abweichen.

[3] Jährlich wären dies rund 890 Hektar. Zum Vergleich: Aktuell werden nach Angaben des Umweltbundesamtes jährlich (Stand 2020) noch über 500 Hektar an Flächen allein durch den Braunkohletagebau abgebaggert und damit für immer zerstört.

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Anforderungen an die Flächenbereitstellung für die Windenergie an Land

Anlass

Bei der derzeitigen Regierungsbildung spielen die Forderungen nach Verankerung des 2-Prozent-Flächenziels bzw. nach einer ausreichenden Flächenbereitstellung, um die für Klimaneutralität benötigten Zubaumengen an landseitiger Windenergie bis 2030 realisieren zu können, eine große Rolle. Das KNE stellt dieses Anliegen in den Kontext zur kürzlich veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes (UBA) zur „Flächenverfügbarkeit und Flächenbedarfe für den Ausbau der Windenergie an Land“[1].

Leitsätze

  1. Zur Erreichung der Klimaschutzziele müssen bis 2030 optimal 105 Gigawatt (GW) an Windenergieleistung installiert sein, jährlich also etwa 7 GW brutto zugebaut werden.[2]
  2. Der tatsächlich freie und verfügbare Flächenanteil an rechtskräftig ausgewiesenen Flächen beträgt aktuell 0,52 Prozent der Landesfläche, das dort erzielbare Leistungspotenzial etwa 20 Gigawatt. Das ist unzureichend.
  3. Regionalplanung und kommunale Planung sollten dafür in ausreichendem Umfang geeignete und faktisch nutzbare Flächen bauplanungsrechtlich sichern.
  4. Neben der Bereitstellung eines ausreichenden Flächenumfangs muss flankierend auch für eine optimale Ausnutzung der Flächen Sorge getragen werden.
  5. Verbindliche Vorgaben des Bundes mindestens zu den Mengenzielen sind notwendig, um die Ausbauverpflichtungen zu konkretisieren. Sie sollten eine hohe Verbindlichkeit haben, die rechtlichen Voraussetzungen dafür sollten zügig verbessert werden.
  6. Im Falle absehbarer Verfehlung einzelner Ziele sollten die Länder – auf der Grundlage einer bundesweit einheitlichen Weißflächenermittlung – im Wege fairer Aushandlungen klären, wie das Gesamtziel dennoch erreicht werden kann. Entsprechende Formate sind zügig zu etablieren.
  7. Die Planungsverfahren (Zeiträume) für die Regionalpläne und die Flächennutzungspläne müssen dringend verkürzt und rechtssicher gemacht werden. Die notwendigen verfahrensrechtlichen Änderungen müssen zügig eingeleitet werden.

1 – Ausbaubedarf

Nach dem aktuellen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sollen in Deutschland bis 2030 71 GW Windenergie an Land installiert sein. Aus Sicht des ⁠UBA⁠ sind für das Erreichen der Klimaschutzziele (vgl. Klimaschutzgesetz) ambitioniertere Ziele erforderlich. Nach dem GreenSupreme-Szenario der RESCUE-Studie[3] müssten optimal 105 GW bis 2030 installiert sein, das wäre ein jährlicher Zubau von etwa 7 GW brutto.

2 – Anforderungen an die Flächensicherung

Der Zubau muss auf die geeignetsten und vergleichsweise konfliktarmen Flächen gelenkt werden. Diese müssen die Länder in ausreichendem Umfang ausweisen und planerisch sichern. Dies kann sowohl auf Ebene der Regionalplanung als auch der kommunalen Planung (Bauleitplanung) erfolgen. Auf den bereitgestellten Flächen sollte der Windenergienutzung ein Vorrang gegenüber anderen Nutzungen eingeräumt werden, dann kann auch für andere Flächen eine Windenergienutzung ausgeschlossen werden.

Sofern der erforderliche Zubau auf die dafür ausgewiesenen Flächen begrenzt bleiben soll, muss sichergestellt werden, dass diese erstens ausreichend und zweitens auch faktisch nutzbar sind, dass also Windenergieprojekten innerhalb der ausgewiesenen Flächen keine anderen Belange entgegenstehen.

3 – Derzeitige Flächenverfügbarkeit

In der UBA-Studie „Flächenverfügbarkeit und Flächenbedarfe“ kommen die Gutachtenden zu dem Ergebnis, das derzeit bundesweit 0,8 Prozent der Landesfläche planerisch für die Windenergie festgelegt und damit verfügbar sind.

Durch Restriktionen wie Siedlungsabstände, Ausschluss von Waldgebieten und die Vorgabe, dass der Rotorradius innerhalb der Gebietsgrenze liegen muss, reduziert sich die verfügbare Fläche auf einen Anteil von 0,52 Prozent der Landesfläche. Das vorläufig ermittelte Leistungspotenzial auf den freien und verfügbaren Anteilen der rechtskräftig ausgewiesenen Flächen beträgt nach Angaben des UBA lediglich 20 GW.

Wollte man bis 2030 nur das aktuelle Ausbauziel des EEG 2021 von 71 GW erreichen, würden 0,8 Prozent der Landesfläche benötigt. Für die erforderlichen 105 GW ergibt sich ein Bedarf von 1,3 Prozent der Landesfläche. Das bedeutet, dass mehr als eine Verdoppelung des bisher ausgewiesenen Flächenumfangs notwendig würde. Mit den o. g. Restriktionen, Beschränkungen und Vorgaben erhöhte sich dieser Umfang weiter, im UBA-Szenario geht man daher schlussendlich von etwa 2,0 Prozent der Landesfläche aus.

4 – Optimale Nutzbarkeit der Flächen ermöglichen

Es ist evident, dass man – will man es bei der Nutzung von zwei Prozent der Landesfläche belassen – sicherstellen muss, dass die ausgewiesenen Flächen bestmöglich ausgenutzt werden können. Der Genehmigung von Anlagen auf den Flächen stehen jedoch häufig Belange entgegen, die eine Genehmigung erschweren, wenn nicht gar verhindern. Hierzu gehören unter anderem militärische und Belange der Luftfahrt, aber auch des Artenschutzes. Neben der quantitativ ausreichenden Ausweisung von Flächen muss also auch dafür gesorgt werden, dass entgegenstehende Belange überwunden werden können.

5 – Gesetzliche Zielvorgaben

Dafür, wie eine ausreichende Flächenbereitstellung von bundesweit durchschnittlich zwei Prozent erreicht werden kann, liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch. Das UBA schlägt vor, bundesrechtliche Zielvorgaben einzuführen und über diese den Ländern gesetzliche Mengenziele vorzugeben. Bei zu geringem Umfang geeigneter bzw. ausgewiesener Flächen oder bei faktischer Nichtnutzbarkeit großer Teile der ausgewiesenen Flächen wäre das jeweilige Land dann gezwungen, zeitnah mit anderen Ländern auszuhandeln, wie das Flächendefizit aufgefangen und das Gesamtziel dennoch erreicht werden kann.

Flächenziele allein werden aber, so das UBA, nicht ausreichen. Es sollten unter Berücksichtigung regionaler Möglichkeiten auch gesetzliche Mengenziele (Leistungs- und Ertragsziele) vorgegeben werden. Nur so könnten Klimaschutzerfordernisse an den Windenergieausbau rückgekoppelt werden. Hierfür ist zügig abzuklären, ob die aktuelle Rechtslage und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern derartige verbindliche Zielvorgaben zulassen.

6 – Planungszeiträume verkürzen!

Eine – selbst mittelfristig – zeitgerechte Flächenbereitstellung wird sich nur verwirklichen lassen, wenn die Planungszeiträume für Regionalpläne und Flächennutzungspläne stark verkürzt werden. Auch hier muss rasch geklärt werden, welche rechtlichen Schritte eingeleitet werden sollten, um die Planung von Windnutzungsgebieten zu vereinfachen und zu beschleunigen.[4] Priorität sollte darauf liegen, Planungskriterien zu vereinheitlichen, die Rechtssicherheit von Plänen zu verbessern und „Endlosschleifen“ der Öffentlichkeitsbeteiligung zu begrenzen.

Fazit des KNE

Die Bereitstellung, Ausweisung und Nutzbarmachung ausreichender Flächen für den notwendigen Ausbau der landseitigen Windenergie bis 2030 bringt hohe Anforderungen mit sich. Die Umsetzung bedarf einer zügigen Klärung und Ausgestaltung der dazu erforderlichen rechtlichen Instrumentarien (Vorgabe von Mengenzielen durch den Bund; Verkürzung der Planungsverfahren für die Regionalpläne und die Flächennutzungspläne), aber auch des klugen und aufgeschlossenen Zusammenwirkens von Bund und Ländern.

[1]  UBA (2021): Flächen für die Windenergie an Land. Vorläufige Ergebnisse der Studie (abgerufen 04.11.2021). Bearbeitung durch Guidehouse, Fraunhofer IEE, Stiftung Umweltenergierecht, Laufzeit 07/2020 bis 06/2022.

[2] „Ausgehend von etwa 55 GW aktuell installierter Leistung und einem erwarteten Rückbau alter Anlagen bis 2030 von etwa 20 GW ist für eine installierte Leistung von 71 bis 105 GW bis 2030 ein jährlicher Zubau von etwa 4 bis 7 GW brutto erforderlich.“ ebd.

[3] UBA (2019): RESCUE-Szenario GreenSupreme. (abgerufen 04.11.2021)

[4] Siehe hierzu etwa SUER (2021, S. 6 ff.) Gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zur Beschleunigung des Windenergieausbaus. Leitplanken und Werkzeuge für die Ausweisung zusätzlicher Flächen sowie die Vereinfachung und Beschleunigung von Genehmigungen. Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht 53, Stand 28.10.2021.

PV-Ausbau auf Dächern vorantreiben – für eine naturverträgliche Energiewende

Dach-Photovoltaik (PV) ist mit besonders wenigen Eingriffen in die Natur verbunden und reduziert den Flächenverbrauch. Doch ein Großteil des Potenzials auf Deutschlands Dächern ist nach wie vor ungenutzt. Dabei gibt es zahlreiche Vorschläge, was der Gesetzgeber tun könnte, um Hürden zu beseitigen, die Nutzung von Dach-PV zu erleichtern und somit Naturschutz und Energiewende voranzubringen.

Das Potenzial von Photovoltaik-Dachanlagen in Deutschland ist groß. Laut einer Studie von EuPD Research[1] sind 89 Prozent der für Solarenergie möglichen Dachflächen von Ein- und Zweifamilienhäusern noch ungenutzt. Eine Studie des Stromversorgers EWS Schönau[2] sieht bis 2030 ein „technisch-praktisches Potenzial von 140 Gigawatt“ einer installierten Leistung für Dachanlagen mit einer Leistung kleiner als 100 Kilowatt. Zum Vergleich: Aktuell beträgt die installierte Leistung in Deutschland 54 Gigawatt. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) und das Fraunhofer ISE beziffern das theoretische Potenzial für Photovoltaik an Fassaden auf 12.000 Quadratkilometer.[3] Dieses Potenzial auf Dächern und an Fassaden sollte aus Naturschutzsicht möglichst schnell für die Installation von PV-Anlagen genutzt werden.

2020 wurde ein Gigawatt mehr PV-Anlagen (Dach- und Freiflächenanlagen) als 2019 installiert (4,9 Gigawatt gegenüber 3,9 Gigawatt). Davon machten Anlagen mit einer Leistung kleiner als 10 Kilowatt 1,1 Gigawatt aus. Für 2021 erwartet das Beratungsunternehmen EuPD Research eine geförderte installierte Leistung von sechs Gigawatt. Damit wird das Potenzial von Photovoltaikanlagen bei weitem nicht ausgeschöpft. Umweltverbände in Deutschland fordern einen jährlichen PV-Zubau von 10 Gigawatt.[4]

Warum wird das Potenzial nicht ausgeschöpft?

In einer Hemmnisanalyse[5] der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW, Stand Januar 2020) werden 56 Hemmnisse aufgeführt, die den weiteren Ausbau der Photovoltaik behindern. Die aufgeführten Hürden betreffen unterschiedliche Rechtsbereiche vom Energie-, über das Gewerbe- bis zum Baurecht.

Einige Hürden sind mit dem zum 1. Januar 2021 in Kraft getretene Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG 2021) beseitigt worden. Viele sind bestehen geblieben, und einige sind neu hinzugekommen.

So setzt zum Beispiel die EEG-Umlagepflicht auf den Eigenverbrauch für Dachanlagen statt bei 10 Kilowatt nun erst bei 30 Kilowatt installierter Leistung ein, was zu einem verstärkten Zubau führen wird. Vorher führten Fehlanreize des EEG 2017 häufig noch zu einer schlechten Dachausnutzung und Anlagen mit einer Leistung von unter 10 Kilowatt installierter Leistung.

Auf der anderen Seite werden die Vergütungen für die Dachanlagen auch 2021 aufgrund des aktuell geltenden Degressionsmechanismus weiterhin deutlich sinken (2020 insgesamt minus 21 Prozent), was im Laufe des Jahres die Wirtschaftlichkeit in Frage stellen könnte.

Für große Dach-PV-Anlagen (300-750 Kilowatt) gibt es weitere Erschwernisse. Zusätzlich zur sinkenden Vergütung müssen sich die Anlagenbetreiber zwischen zwei Vergütungsmodellen entscheiden. Entweder nehmen sie an einer Ausschreibung mit geringen Ausschreibungsmengen teil, was absehbar zu geringen Marktprämien führen wird. Oder sie verbrauchen 50 Prozent des produzierten Stroms selbst und erhalten für die anderen 50 Prozent keine Marktprämie.

Die HTW Berlin hat errechnet, dass das zweite Modell bei geringem Eigenverbrauch die Anlagen unwirtschaftlich macht.

Positiv an der kürzlich getroffenen Einigung der Großen Koalition zum EEG ist die geplante Gewerbesteuerfreiheit von Wohnungsunternehmen, wenn die Einnahmen aus erneuerbaren Energien weniger als zehn Prozent der Mieteinnahmen ausmachen.

Was könnte getan werden?

Aus Sicht des KNE sollte der Gesetzgeber im Rahmen der nächsten größeren Novelle des EEG folgende Möglichkeiten nutzen, um den Ausbau von PV-Dachanlagen zu beschleunigen:

  • Einführung einer bundesweiten Pflicht zur Installation und zum Betrieb neuer Photovoltaikanlagen bei Neubauten und Dachsanierung von Wohn- und Nicht-Wohngebäuden:
  • Das Umweltbundesamt hat hierzu einen Vorschlag erarbeitet.[6] In Kombination mit einem Verpachtungskataster kann dabei sichergestellt werden, dass Eigentümer mit unrentablen Dachflächen diese Pflicht nicht erfüllen müssen.
  • Die bereits vorhandenen Solarpflichten (in Baden-Württemberg und Hamburg sowie die derzeit erarbeiteten Regelungen in Bayern, Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein) stützen diesen Vorschlag bzw. werden durch eine bundesweite Einführung erweitert.
  • Für Bestandsbauten könnte mit einer angemessenen Übergangsfrist mittelfristig eine gleichlautende Pflicht eingeführt werden.
  • Der Quartiersansatz beim Mieterstrom nach dem nicht nur die Mieter vom Dach ihres Hauses den Strom beziehen können, sondern auch Mieter in anderen Häusern im Quartier, sollte ausformuliert werden, damit entsprechende Konzepte umgesetzt werden können.
    Entsprechend der HTW-Hemmnisanalyse sollten die erforderlichen Änderungen im Gewerbe-, Bau- und Planungsrecht sowie in anderen Rechtsgebieten geprüft und umgesetzt werden. Ziel muss es sein, die Flächeninanspruchnahme zu minimieren.
    Ein zusätzlicher positiver Effekt für den Naturschutz ließe sich durch die Kombination mit einer Dachbegrünung erreichen. Zum einen würde zusätzlicher Lebensraum für eine Vielzahl an Arten geschaffen. Zum anderen würde im Sommer der Wirkungsgrad der Photovoltaikanlagen steigen, da sich ein begrüntes Dach deutlich weniger aufheizt als ein unbegrüntes.[7] Das Land Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel ein Solarkataster[8] und ein Gründachkataster eingerichtet, wo Gebäudebesitzern sich über die Tauglichkeit ihrer Dächer für eine Solaranlage und eine Dachbegrünung informieren können.[9] Die Verbraucherzentrale NRW informiert parallel über die Möglichkeiten und die konkrete Umsetzung der Dachbegrünung.[10]

Fazit

Angesichts der anspruchsvollen Ausbauziele für erneuerbare Energien und der intensiven Flächennutzung in Deutschland sollten bestehende Hemmnisse für den weiteren Ausbau der besonders naturverträglichen Dach-Photovoltaik zügig beseitigt werden – das läge auch im Interesse des Natur- und Landschaftsschutzes.

[1] 89 Prozent des Solarpotenzials noch ungenutzt – EuPD Research (eupd-research.com).

[2] Chancen einer Verdreifachung des PV-Kleinanlagenanteils am Strommix bis 2030, Energy Brainpool im Auftrag von EWS Schönau, Oktober 2020.

[3] Pressemitteilung IÖR Strom von der Hauswand – Gebäudefassaden bieten großes Potenzial für die Gewinnung von Solarenergie, 20.01.2021.

[4] Offener Brief vom 12.02.2021 an Bundeswirtschaftsminister Altmaier von DNR, BUND, DUH, Germanwatch, Greenpeace, Klimaallianz, NABU, WWF.

[5] Hemmnisse und Hürden für die Photovoltaik (Stand Januar 2020), HTW Berlin.

[6] Photovoltaik-Pflicht mit Verpachtungskataster: Optionen zur Gestaltung einer bundesweiten Pflicht zur Installation und zum Betrieb neuer Photovoltaikanlagen, CLIMATE CHANGE 34/2020, Umweltbundesamt.

[7] Auf einem Dach: Begrünung und Photovoltaik, Bund Naturschutz in Bayern, abgerufen 16.04.2021.

[8] www.solarkataster.nrw.de

[9] https://www.klimaanpassung-karte.nrw.de/?feld=gruendach

[10] https://www.mehrgruenamhaus.de/

Keine Lockerung für die Windenergie nach dem EuGH-Urteil

Das mit Spannung erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen C-473/19 und C-474/19 vom 4. März 2021 liegt vor. Das KNE beleuchtet die Entscheidung vor allem mit Blick auf die europäische Vogelschutzrichtlinie. Für die Windenergie an Land bleibt es weiterhin bei einer individuenbezogenen Betrachtung auf der Ebene des Verbotstatbestandes. Populationsbezogene Bewertungen können erst bei der Prüfung der Ausnahme herangezogen werden.

Ausgangslage

Am 4. März verkündete der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil[1] zu einem Vorlageverfahren aus Schweden. Inhaltlich ging es um eine Abholzungsanmeldung, die eine nahezu komplette Rodung (Kahlschlag) eines Waldgebietes zum Inhalt hatte.[2] Das vorlegende schwedische Gericht wollte vom EuGH in diesem Kontext unter anderem wissen, ob die Begriffe „absichtliches Töten/Stören/Zerstören“ in Art. 5 Buchst. a bis d der Vogelschutzrichtlinie und in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie dahin auszulegen seien, dass sie eine innerstaatliche Praxis ausschließen, wonach in dem Fall, dass mit einer Maßnahme offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird, als Individuen bestimmter Arten zu töten oder zu stören, ein Risiko bestehen muss, dass sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der Arten auswirkt, damit die Verbote Anwendung finden.[3]

Die Entscheidung des EuGH wurde mit Spannung erwartet, weil EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, in ihren der Entscheidung vorausgehenden Schlussanträgen angeregt hatte, den Absichtsbegriff in der Vogelschutzrichtlinie (V-RL) der Europäischen Union enger auszulegen als dies der EuGH für die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) bereits entschieden hat.[4] Konkret schlug sie vor, dass Beeinträchtigungen von Vögeln, die nicht bezweckt, sondern nur in Kauf genommen würden, die Tötungs- und Zerstörungsverbote nach Art. 5 Buchst. a und b der V-RL nur erfüllen sollten, soweit dies notwendig sei, um diese Arten im Sinne von Art. 2 auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.[5]

Zur Auslegung des Europäischen Gerichtshofs

Die Ausführungen des EuGH im betreffenden Urteil zum Begriff der Absicht beziehen sich nur auf die FFH-Richtlinie[6], und hier bleibt es bei dem seit der Caretta-Caretta-Entscheidung[7] etablierten Absichtsbegriff, der auch die unbezweckte Inkaufnahme von Tötungen besonders geschützter Arten umfasst. Damit hat der EuGH den Vorschlag von GeneralanwältinKokott nicht aufgegriffen, ihm gleichwohl auch keine ausdrückliche Absage erteilt.

Wäre der EuGH dem Vorschlag der Generalanwältin mit Blick auf die Vogelschutzrichtlinie gefolgt, wäre bereits bei der Frage, ob ein Verbotstatbestand nach Art. 5 Buchst. a und b V-RL erfüllt ist, eine populationsbezogene Betrachtung möglich geworden.

Dies hätte eine Lockerung des besonderen Artenschutzrechts auch für den Bereich der Windenergie an Land ermöglicht, denn die Betrachtung des einzelnen Vogels wäre nicht mehr in jedem Fall erforderlich gewesen. Inwieweit aber mit dem Vorschlag tatsächlich eine Entlastung der Genehmigungssituation von Windenergieanlagen an Land einhergegangen wäre, ist indes fraglich, da man bereits darüber streiten kann, ob sich die Ausführungen von Kokott lediglich auf die von ihr als „Allerweltsarten“ bezeichneten Vögel bezogen haben.[8] Ob unter diesen Begriff auch die windenergiesensiblen Groß- und Greifvogelarten fallen, zu deren Schutz Windenergieanlagen teils überhaupt nicht oder nur mit umfangreichen Abschaltauflegen errichtetet werden können, hätte weiteren Diskussionsstoff geboten.

Konsequenzen des Urteils in Bezug auf die Vogelschutzrichtlinie

Der EuGH betont in dem Urteil den individuenbezogenen Schutzansatz der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und leitet diesen aus dem Wortlaut der Richtlinie ab (Exemplar, Eier)[9]. Die Vogelschutzrichtlinie spricht in Art. 1 Abs. 2 von „Vögel, ihre Eier, Nester und Lebensräume“. Eine unterschiedliche Sichtweise des EuGH bezüglich FFH-RL und V-RL ist daher unwahrscheinlich; der Individuenbezug ist beiden Richtlinien inhärent.

Der EuGH betont in der aktuellen Entscheidung auch das Verhältnis von Verbotstatbestand und Ausnahme im Hinblick auf Art. 12 und 16 der FFH-Richtlinie. Hier sei streng zwischen Verbotstatbestand (Betrachtung des Individuums) und Ausnahme (Einbeziehung des Erhaltungszustandes) zu trennen, um nicht die Prüfung der restriktiven Ausnahmevoraussetzungen zu umgehen.[10] Grundsätzlich findet sich in der Vogelschutzrichtlinie mit Art. 5 als Verbotstatbestand und Art. 9 als Ausnahmetatbestand eine vergleichbare Konstellation. Dies spricht auf den ersten Blick dafür, dass der EuGH, die für die FFH-RL etablierte, strenge Unterscheidung zwischen Verbotstatbestand und Ausnahme auch auf die V-RL übertragen würde.

Allerdings hat Generalanwältin Kokott auch im Hinblick auf die Ausnahmekonstellationen entscheidende Unterschiede zwischen FFH-RL und V-RL herausgearbeitet und hieraus auf einen engeren Absichtsbegriff auf Ebene des Verbotes geschlussfolgert.[11] So wird der Kreis der zu schützenden Arten in der FFH-RL sehr viel enger gezogen als in der V-RL, die generell alle europäischen Vogelarten schützt.[12] Gleichzeitig korrespondiert der strenge Schutzansatz der FFH-RL mit einem Ausnahmeregime, das – im Gegensatz zur V-RL[13] – einen weiten Ausnahmegrund enthält. Nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL ist es nämlich möglich, Ausnahmen auch aus „[…] aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ zu gewähren. Eine solch weitreichende Formulierung findet sich im Katalog der Ausnahmegründe der Vogelschutzrichtlinie nicht.[14] Auch aus diesem Grund empfiehlt die Generalanwältin, eine enge Auslegung des Absichtsbegriffs für die V-RL bereits auf Ebene des Verbotstatbestandes.

Der EuGH ist auf diese differenzierende Auseinandersetzung der Generalanwältin zu FFH-RL und V-RL nicht eingegangen. Von einer Entscheidung zur Vogelschutzrichtlinie im Hinblick auf den Absichtsbegriff konnte der Gerichtshof absehen, weil die in Frage stehende schwedische Regelung nicht zwischen FFH- und Vogelschutzrichtlinie unterscheidet.[15] Es bleibt im Bereich der Spekulation, ob der EuGH im Bereich der Vogelschutzrichtlinie zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Derzeit bleibt es daher auch für die Windenergie an Land weiterhin bei einer individuenbezogenen Betrachtung auf der Ebene des Verbotstatbestandes. Populationsbezogene Bewertungen können erst bei der Prüfung der Ausnahme herangezogen werden.

Einige Kommentatoren haben eine mögliche Umsetzung des „Kokott-Vorschlages“, also eine populationsbezogene Betrachtung auf der Ebene der Verbotsnorm, bereits im Vorfeld des Urteils kritisch eingeschätzt, und diese Betrachtung weiterhin im Ausnahmeregime verortet.[16] Dies dürfte mit der Hoffnung verbunden gewesen sein, den erwähnten weiten Ausnahmegrund der FFH-Richtlinie so auch auf rechtssichere Art und Weise[17] für die Vogelschutzrichtlinie nutzbar machen zu können. Die von Generalanwältin Kokott identifizierten Spielräume in der Vogelschutzrichtlinie hätten sich damit im Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG (zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses) wiedergefunden[18], dessen Anwendung auf europäische Vogelarten derzeit mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden ist[19], da er, wie bereits erläutert, auf keine Entsprechung in der Vogelschutzrichtlinie trifft.

Fazit des KNE

Das Urteil hat weder den Wunsch nach Erleichterungen im Genehmigungsprozess von Windenergieanlagen an Land erfüllt, noch hat es für eine großzügigere Auslegung der Ausnahmegründe der Vogelschutzrichtlinie gesorgt. Die Rechtsunsicherheiten bezüglich des Ausnahmegrundes der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses im Bundesnaturschutzgesetz bleiben bestehen.

Aufgrund der eher strengen Tendenz[20] des vorliegenden Urteils in der Auslegung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie halten wir es für eher unwahrscheinlich, dass der EuGH in zukünftigen Verfahren Lockerungen bei der Auslegung der Verbotstatbestände der Vogelschutzrichtlinie zulassen wird. Teils wurde im Nachgang des Urteils daher gefordert, das Thema Klimaschutz und biologische Vielfalt im Rahmen des Green Deals der Europäischen Kommission zu verhandeln. Eine andere Stimme plädiert bereits für eine Änderung der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie mit einer eindeutigen Gewichtung zugunsten des Klimaschutzes.[21]

Es mag auch am zu beurteilenden Sachverhalt gelegen haben, dass der EuGH auf die differenzierende Betrachtung der Generalanwältin nicht eingegangen ist. Der EuGH hatte vorliegend einen extremen Eingriff in die Natur zu beurteilen, da ein komplettes Waldgebiet gerodet werden sollte.[22]

Bisher wurde der EuGH noch nicht mit dem diffizileren Dilemma konfrontiert, das im Ausbau der Windenergie als Maßnahme zum Klimaschutz ein Konflikt mit dem Arten- und speziell dem Vogelschutz liegen kann. Insbesondere musste der EuGH noch nicht entscheiden, ob bei diesem Zielkonflikt – denn beides, Klima- und Umwelt- und damit auch Artenschutz sind primärrechtliche Zielvorgaben – eine Abwägung zu Gunsten oder zu Lasten eines anderen Rechtsgutes erfolgen kann, und unter welchen Voraussetzungen sich welches Rechtsgut durchsetzt.

Wir regen an, eine Gelegenheit zu nutzen, um dem EuGH diese Fragen vorzulegen. Speziell im Hinblick auf die Ausnahmeregelung[23] der Vogelschutzrichtlinie und deren nationaler Umsetzung in § 45 Abs. 7 BNatSchG böte es sich an, den EuGH zu fragen, wie der Artenschutz und der Klimaschutz in Einklang zu bringen sind. Eine Klarstellung auf europäischer Ebene wäre sicherlich gewinnbringend, um mehr Rechtssicherheit für die Energiewende zu erlangen.

[1] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19. CURIA – Dokumente (europa.eu)
[2] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 21.
[3] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 29.
[4] EuGH, Urteil vom 30. Januar 2002 − Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147 – (Caretta caretta), Rn. 36.
[5] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 93. CURIA – Dokumente (europa.eu)
[6] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 48.
[7] EuGH, Urteil vom 30. Januar 2002 − Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147 – (Caretta caretta).
[8] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 81, 83.
[9] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 54.
[10] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 60.
[11] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 86.
[12] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 80 f.
[13] Siehe hierzu auch Hofmann (2020), S. 15 f.
[14] Zur Frage, ob ein solcher Ausnahmegrund in die V-RL hineingelesen werden könnte, vgl. grundlegend: Hofmann (2020). A. a. UMK (2020).
[15] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 48.
[16] Lau (2021), S. 31 f.; ähnlich Hendrischke (2020), 518.
[17] Zur Problematik s. o. Fn. 14.
[18] Lau (2021), S. 31.
[19] Siehe hierzu auch Hofmann (2020).
[20] Beispielsweise aufgrund des Rückgriffs auf die Erwägungsgründe der FFH-RL und den Ausführungen zu Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-RL. EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 62 ff.
[21] Urteil des EuGH – Stillstand im Artenschutzrecht? – Zugleich ein offener Brief an die Windenergiebranche, den eigenen Verband und an die Mandatsträger in allen Parlamenten, die die Energiewende wollen – MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
[22] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 21. Bei Skogsstyrelsen (nationale Forstverwaltung, Schweden) wurde eine Abholzungsanmeldung betreffend ein Waldgebiets in der Gemeinde Härryda eingereicht. Diese Anmeldung betrifft einen Kahlschlag, was die Entfernung fast aller Bäume bedeutet.
[23] S. hierzu: Hendrischke (2020), 518.

Literaturverzeichnis

Hendrischke, O. (2020): Vogelschutz bei Windenergievorhaben. Natur und Landschaft (11) 2020, 518.

Hofmann, E. (2020): Artenschutz und Europarecht im Kontext der Windenergie. Der Klimaschutz und die Auslegung der Ausnahmeregelungen der Vogelschutzrichtlinie. KNE – Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende. https://www.naturschutz-energiewende.de/wp-content/uploads/KNE_Rechts-Gutachten_Artenschutz-und-Europarecht-im-Kontext-der-Windenergie_2020.pdf

Lau, M. (2021): Erleichterungen im besonderen Artenschutz. Natur und Recht, 43(1), 28–32. https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10357-020-3787-x

Umweltministerkonferenz – UMK. (2020): Hinweise zu den rechtlichen und fachlichen Ausnahme- Voraussetzungen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG bei der Zulassung von Windenergievorhaben (23 S.).

Über das KNE

Das 2016 gegründete Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) ist eine von der Umweltstiftung Michael Otto getragene und vom Bundesumweltministerium finanzierte Einrichtung. Zweck der gemeinnützigen GmbH ist die Unterstützung einer naturverträglichen Energiewende vor Ort. Das KNE bietet Beratung und umfangreiche Fachinformationen an, es organisiert Dialog und Austausch, und vermittelt, wenn es beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu Konflikten kommt, speziell ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren.

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Zur Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2021)

Naturverträglichen Ausbau der Photovoltaik verstärken

Anlässlich der bevorstehenden zweiten und dritten Lesung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes 2021 im Deutschen Bundestag setzt sich das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende mit einigen Naturschutzaspekten des EEG 2021 auseinander.

Der Gesetzentwurf für das EEG 2021 sieht eine deutliche Erhöhung des Ausbaupfades für die Photovoltaik (PV) vor. Der jährliche Zubau soll von 2,5 auf 4,6 Gigawatt erhöht werden mit einem Gesamtziel von 100 Gigawatt im Jahr 2030. Sowohl Naturschutz- als auch Energieverbände fordern einen deutlich höheren Zubau.

Gebäudepotenzial für Ausbau der Photovoltaik nutzen

Im Sinne einer naturverträglichen Energiewende ist dem Zubau von PV-Anlagen auf, an oder in einem Gebäude oder einer Lärmschutzwand (Gebäudeanlagen) gegenüber dem Zubau von PV-Freiflächenanlagen (PV-FFA) der Vorzug zu geben. Der Zubau von Gebäudeanlagen erweist sich grundsätzlich am naturverträglichsten, da bei diesen im Gegensatz zu PV-FFA kein weiterer Flächenbedarf durch Belastung oder Versiegelung entsteht. Vielmehr kann das große Potenzial der Gebäudeflächen genutzt werden, das in Deutschland für PV-Dachanlagen bei zirka 260 Gigawatt liegt, von denen Ende 2017 mit 31 Gigawatt nur etwa 12 Prozent bebaut waren.

Das im EEG festgelegte Ziel eines Anteils von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Strommix im Jahr 2030 kann aber allein durch den Zubau von Gebäudeanlagen nicht erreicht werden. Zur Zielerreichung bedarf es gerade auch der kostengünstig zubaubaren PV-FFA.

Der EEG-Entwurf setzt für den erforderlichen Zubau sowohl der Gebäudeanlagen als auch der PV-FFA wenig neue Anreize. Positiv ist, dass es für Gebäudeanlagen künftig ein eigenes Ausschreibungssegment geben soll, so dass diese im Ausschreibungsverfahren nicht mehr gegenüber den kostengünstigeren PV-FFA das Nachsehen haben. Ein zusätzliches Ausschreibungssegment für Gebäudeanlagen auf Parkplätzen wäre hilfreich, da auch diese innerhalb der bisherigen Ausschreibungen nicht konkurrieren können.

PV-Pflicht ausweiten

Als wirksamer Anreiz zur besseren Erschließung der Potenziale der Gebäudeanlagen könnte eine flächendeckende PV-Pflicht für diese Anlagen in das EEG aufgenommen werden. Eine solche Pflicht wäre grundsätzlich für alle öffentlichen Bauten, alle private Neubauten oder Dachsanierungen möglich, aber auch für die Elektromobilität aller Parkplätze ab einer gewissen Größe.

In einzelnen Ländern bestehen bereits erste entsprechende Vorgaben für eine solche PV-Pflicht von Gebäudeanlagen. So haben in Baden-Württemberg ab 2022 alle neuen Nicht-Wohngebäude sowie alle neuen überdachten Parkplätze mit mindestens 75 Stellplätzen eine Gebäudeanlage aufzuweisen. In Hamburg und Bremen soll eine Pflicht für alle neuen Gewerbe- und Wohngebäude gelten. Später soll sie sich auch auf Dachsanierungen auf bestehenden Gebäuden ausweiten. In Berlin hat der Senat jüngst das „Solargesetz Berlin“ beschlossen, das fortan den Bau und Betrieb von Gebäudeanlagen bei Neubauten und umfangreichen Dachsanierungen vorschreibt.

Eine grundsätzliche PV-Pflicht für EEG-förderfähige Gebäudeanlagen auf Dächern von Neubauten und nach Dachsanierungen könnte nach einer neuen Studie des Umweltbundesamtes als sogenannte Nutzungs- oder Katasterpflicht ausgestaltet werden. Demnach könnten sich Eigentümer entscheiden, ob sie selbst eine Gebäudeanlage installieren und betreiben oder ob sie ihre Dachfläche in ein Kataster eintragen, die für diese Nutzung von Dritten gepachtet werden kann. Der Studie zufolge könnte die Katasterpflicht durch den Gewinn für die Eigentümer aus dem Betrieb der Gebäudeanlage oder ihrer Verpachtung der Dachfläche die Akzeptanz in der Bevölkerung steigern.

PV-Freiflächenanlagen naturverträglich bauen

Zur besseren Erschließung der Potenziale der PV-Freiflächenanlagen (PV-FFA) beabsichtigt der EEG-Entwurf, die Flächenkulisse für diese Anlagen auszuweiten. So sollen Projekte von bis zu 20 anstelle von 10 Megawatt gefördert werden. Jedoch berücksichtigt die Erhöhung der Leistungsgrenze von 10 auf 20 Megawatt lediglich die Effizienzsteigerung der Anlagen in der letzten Dekade. Heute können 20 Megawatt auf der gleichen Fläche erzeugt werden, wie 10 Megawatt vor zehn Jahren. Die zulässige Inanspruchnahme von 110 Meter links und rechts von Verkehrswegen erweitert sich auf 200 Meter.

Aufgrund ihrer Wirtschaftlichkeit muss in den nächsten Jahren mit einem verstärkten Zubau von PV-FFA ohne Förderung und außerhalb der Flächenkulisse des EEG-Förderregimes gerechnet werden. Hierdurch entfällt die steuernde Wirkung des EEG. Umso bedeutender wird eine künftig zu entwickelnde planerische Steuerung auf Regional- und Bauleitplanungsebene, die einen naturverträglichen und von Akzeptanz getragenen Zubau der PV-FFA gewährleistet. Eine solche Steuerung ist entsprechend der Windenergiekonzentrationszonenplanung durch Vorrang- und Eignungsgebiete für PV-FFA zumindest dort möglich, wo noch keine entsprechende Bauleitplanung erfolgt ist. Dies wäre gleichfalls für die Steuerung der Flächen für hybride Nutzung durch Agrar-Photovoltaikanlagen (Agri-PV) und Floating-PV-Anlagen zu untersuchen.

PV-FFA stehen häufig in Konkurrenz zu landwirtschaftlicher Nutzung. Allerdings können sie insbesondere Brach- sowie Ackerflächen in benachteiligten Gebieten bzw. solche mit geringem landwirtschaftlichem Nutzwert auch naturschutzfachlich aufwerten oder durch hybride Nutzung eine gleichzeitige landwirtschaftliche Nutzung ermöglichen.

Trotz ihrer Flächeninanspruchnahme können PV-FFA, insbesondere im Vergleich zur vorherigen landwirtschaftlichen Intensiv-Nutzung der Flächen, einen großen Beitrag zum Naturschutz leisten. So können naturverträglich gestaltete Anlagen beispielsweise Habitate für eine große Anzahl verschiedener Tierarten bieten, der Förderung bedrohter Pflanzengesellschaften dienen und auf diese Weise einen Beitrag zur Biodiversität leisten. Im Sinne des Flächendrucks sollte sichergestellt sein, dass die rechtlich gebotenen Ausgleichsmaßnahmen auf der Fläche der PV-FFA realisiert werden können – und darüber hinaus durch freiwillige Aufwertungs- und Pflegemaßnahmen ein möglichst hoher Beitrag zur Steigerung der Biodiversität geleistet werden kann. Mit dem Ziel einer einheitlichen Handhabung und Planung sollte hierzu ein Kriterienkatalog mit hochwertigen Standards für naturverträgliche PV-FFA geschaffen und ein anschließendes Monitoring vorgesehen werden.

Zu begrüßen ist, dass innovative und hybride PV-Konzepte wie Agri-PV-Anlagen, die eine gleichzeitige Bewirtschaftung von Ackerflächen ermöglichen oder Floating-PV-Anlagen, die eine energetische Nutzung von beispielsweise renaturierten Tagebauseen in den Braunkohleregionen ermöglichen, durch Innovationsausschreibungen erprobt werden sollen. Gerade diese Konzepte können jedoch eine Reduzierung der Flächenkonkurrenz herbeiführen und damit den Druck von naturschutzfachlich wertvollen Flächen nehmen.

Fazit

Um das Ziel von 65 Prozent erneuerbarer Energien im Jahr 2030 zu erreichen, muss die Photovoltaik verstärkt ausgebaut werden. Dabei sollte zuerst das große Potenzial von Gebäude-PV genutzt werden. Gleichwohl sind die energie- und klimapolitischen Ziele für 2030 damit allein nicht zu erreichen. Nicht zuletzt aus Gründen der Akzeptanzwahrung muss ein ergänzender Zubau der Photovoltaik-Freiflächenanlagen dringend naturverträglich erfolgen und die Biodiversität in der Agrarlandschaft nachweislich steigern. Dafür braucht es einen Kriterienkatalog mit hochwertigen Standards und einem anschließenden Monitoring-Prozess. Qualitativ hochwertiger Vorgaben bedürfen insbesondere auch Solarparks außerhalb des EEG, die zur Sicherung ihrer Naturverträglichkeit außerdem ein Konzept für eine planerische Steuerung erfordern.